Glück und Freiheit

In den USA ist es im Sinne der Unabhängigkeitserklärung das Glück, nach dem gestrebt wird – in Liberia ist es die Freiheit, the pursuit of liberty. Aber das ist sich alles schon irgendwie ziemlich ähnlich, finde ich. Und da gibt’s ja auch noch anderes, was einen an das Land der unbegrenzten Möglichkeiten erinnert: die Taxis sind gelb (wenn auch weiter nicht viel an ihnen an die New York City cabs erinnert, zugegeben), die Briefkästen, die es zumindest in Monrovia gibt, sehen genau aus wie die des US Postal Service, blaue Kisten. Die Uniform der Polizisten erinnert mich verdammt an amerikanische Cops, besonders, wenn sie noch ihre Kappe dazu tragen. In vielen Dörfern, oder auch nur Siedlungen, kann man am Straßenrand Donuts kaufen – die dann zwar nicht die kleinen Küchlein mit dem Loch in der Mitte sind, sondern in Fett ausgebackene Teigklopse. In der Eifel würde man dazu Muzen sagen (die sind ganz anders als die vertrockneten Dinger im Rheinland) und sie wären noch in Zucker gewälzt… eine Tante ist da der absolut unschlagbare Hersteller – leider nur zur Karnevalszeit. Aber zurück zu Liberia. Es gibt das White House und Capitol Hill… ganz zu schweigen von den ganzen Orts- und Distrikt-/Provinzbezeichnungen: Virginia, Maryland, Mississippi, Louisiana… selbst bei Greenville denke ich an South Carolina. Die Flagge, wie schon hier erwähnt. Und dann das Design der Geldscheine, zwar farblich intensiver, aber doch ganz klar in Anlehnung an die Greenbacks. Auf der Straße bin ich einem Mann begegnet, der sich stolz auf die Brust schlug und mir zurief I am American! und ich etwas irritiert gedacht habe Äh, schön…(?) für dich?! Ich vermute, das geht zurück auf die Entstehung Liberias, das als Gebiet so vor sich hin existierte mit seinen 20 Hauptethnien und zig Sprachen. Da meinten die Abolitionisten in den USA im 19. Jh., dass das doch ein ideales Gebiet sei, um befreite Sklaven umzusiedeln – was 1822 zum ersten Mal geschah. 1847 erklärte man sich dann zu einer unabhängigen Republik. Oft war die Befreiung aus der Versklavung zwingend gekoppelt an die Rückübersiedlung nach Afrika. Dass die wenigsten tatsächlich aus der Region kamen, war irrelevant. Heute heißen diese „Rückkehrer“ bzw. deren Nachkommen Congo People – angeblich, weil man vermutete, dass die meisten ursprünglich aus der Großregion des Congo Delta kamen. So gibt es denn auch in Monrovia einige Congo Towns, die hauptsächlich von dieser Gruppe besiedelt sind.

Ich glaube, Monrovia war mal richtig schön – von einigen größenwahnsinnigen Betonklötzen, wie bspw. dem leer auf einem Hügel stehenden Ducor Palace Hotel, mal abgesehen. Eine Lage am Meer ist irgendwie immer positiv, auch wenn das feucht-heiße Klima und die salzige Luft sicher deutlich mehr als anderswo an Häusern und anderem „fressen“. Es gibt einen schön angelegten Boulevard, die Broad Street, und das ganze Downtown Gebiet, Mamba Point, lässt ehemaligen Charme an manchen Stellen durchschimmern. Wenn man ausblenden kann, dass der Matsch im Markt wadenhoch und von Müll und wahrscheinlich anderen durchsetzt ist, abbruchreife Häuser bewohnbar gemacht werden (so ein bisschen muss das nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Deutschland ausgesehen haben, Leben in Trümmern): abgerissene Fassaden ohne „Geländer“ – man sieht nur, dass mit Bambusmatten improvisiert Privatsphäre geschaffen wurde. Oder eher im Gebiet des Büro ein ghanaisches Restaurant auf einem Dach. Eigentlich ging da mal vorne eine Treppe hoch, die ist aber abgebrochen. Also muss man durch die Autowerkstatt im Hinterhof, vorbei an einigen privaten Küchen und einem röhrenden Generator, eine Hinterteppe hoch, um dann dort oben zum Klang von John Denver zu speisen, drumherum der Blick auf die Abrisswohnungen.
Und dann natürlich der Wahnsinn von Hochsicherheitskomplexen wie der amerikanischen Botschaft (die gerade nicht weit entfernt von der bestehenden komplett neu gebaut wird, angeblich 40m in die Tiefe…) oder riesige Compounds – und weniger als einen Steinwurf entfernt Wellblechhütten ohne Strom und fließend Wasser… oder nur da und dann fließend, wenn man es nicht brauchen kann. Es kann nicht wesentlich weiter auseinandergehen.
Wer übrigens mal was lesen möchte zu Liberia, dem seien die folgenden beiden Werke ans Herz gelegt – sie sind ganz verschieden, haben mir aber beide ausgesprochen gut gefallen (die Memoiren habe ich noch nicht ganz durch):
This Child Will Be Great. Memoir of a Remarkable Life by Africa’s First Woman President. Von Ellen Johnson Sirleaf. Das gibt’s auch schon auf deutsch, aber nur in gebundener Ausgabe.
Blue Clay People: Seasons On Africa’s Fragile Edge. Von William Powers.

Schönes Wochenende!
Barbara

What…?

You all out there – help me make sense of this. What on earth was the „architect“ thinking? Anything! Please comment below, English, German… whatever.
I wonder whether I should put up a third post tonight, on questionable yet (often) functioning installations in Liberia.
Sleep tight! Barbara

Greenville Nightlife

Greenville war der vierte Ort, den ich auf meiner Reise durch Liberia kennengelernt habe. Ebenfalls im Südosten, aber am Meer gelegen – wunderschön. Orte mit Meer tun es mir ja eigentlich immer an. Da ist es dann auch egal, dass der ehemalige Hafen voller verrosteter Schiffswracks liegt, dass die Häuser in der Stadt allenfalls Ruinencharme ausstrahlen oder auch die Moskitos nicht zu unterschätzen sind. Sagt sie, die zwei Nächte hier verbringt und nicht zur Top-Regenzeit wochenlang festsitzt, nur noch Reis kriegt – weil die eigenen Vorräte zuende gehen und auch nichts nachkommt… denn wenn man selbst nicht wegkommt, kommt auch keiner hin. Und der Hafen ist ja keiner mehr…

Mit den Straßenverhältnissen ist es echt so eine Sache. Ich finde „Straße“ ja auch immer noch einen Begriff, der so nicht haltbar ist. Das Bild im Header oben zeigt den very bä ma-spo, also das schlimme Matschloch, in dem wir auf dem Rückweg nach Zwedru zwei Stunden festsaßen. Zwar stellte eine liberianische Kollegin einer befreundeten Organisation hinter treffend fest too many driva, no solution – zu viele Fahrer, keine Lösung, als freie Interpretation von Viele Köche verderben den Brei und alle schmissen sich weg vor Lachen, auch nach zweistündigem Stehen im Matsch und stechender Sonne, mit Riesenkäfern, Tse-Tse-Fliegen (die übrigens aussehen wie diese ekligen schillernden Fliegen, nur dreimal so groß) und viel Kleingetier – aber es war tatsächlich so: stundenlang mithilfe einiger junger Männer, die offenbar in einem Ort nahebei, der uns nicht einsehbar war, wohnten, an einem Matschloch rumprobiert… einen rausgezogen, dann steckte der andere drin usw. – aber keiner, der auf der richtigen Seite angekommen war, fuhr weiter – um dann nach langem Palaver das Matschloch auf der anderen Straßenseite zu testen und unter großem Gejohle im ersten Anlauf durchzukommen. Aber hinterher ist man immer schlauer.

Aber ich springe ja schon zur Abreise, dabei wollte ich was zum Nachtleben erzählen, in das wir uns erst am zweiten Abend stürzten, da der Kollege, den wir antreffen wollten, auf der anderen Seite eines angeschwollenen Flusses festsaß und erst am nächsten kam… auch nur, indem er in der Unterwäsche und seine Habseligkeiten über dem Kopf transportierend durch das stellenweise kinnhohe Wasser watete und dann ca. 15 km zu Fuß unterwegs war, bis wir – die wir uns eine bestimmte andere Brücke ansehen wollten – ihn und seinen Anhang auflasen. Denn natürlich war es auch noch ein Funkloch und wir dachten uns nur, dass sie wohl über Nacht in diesem Dorf geblieben waren.
Also, das Nachtleben. Das spielt sich in und um das Forum Entertainment Center ab. Das ist eine Kaschemme mit niedriger Decke, der obligatorischen Bestuhlung mit weißem Plastikmobiliar und einer dreifarbig leuchtenden Diskokugel, wo man was kühles trinken und zwischen meist zwei Gerichten wählen kann, die beide mit Reis zu tun haben. Im Idealfall regnet es nicht, und man kann sich Tisch und Stühle raustragen lassen unter den Mangobaum gegenüber, sitzt dann mit Blick auf das Etablissement und die daneben stehende Kirche, auf deren Ummauerung irgendwer seine gesamte Wäsche zum Trocknen abgelegt hat und genießt die Abendbrise beim Leute beobachten. Kleine Jungs und Mädels, die neugierig und meist schüchtern vorbeihüpfen, Halbstarke, die entweder mit coolen Tanzschritten vorbeirocken oder lässig auf ihren Motorrädern chinesischer Bauart vorbeicruisen, junge Frauen, die Aufmerksamkeit suchen, zielstrebig vorbeieilende Hunde und gemütlich vor sich hintrottende Ziegen…

Das ist um Längen besser, als drinnen zu sitzen, wo aus zwei großen Boxen mit mindestens 100 Dezibel afrikanischer Rock dröhnt und in einer Ecke noch der Fernseher dagegenhält, natürlich auf dem scheinbar einzig vorhandenen Fußballsender. Und in dem Gedröhne sitzen auch immer fünf, sechs Typen, die das Spiel verfolgen, mit steinernen Mienen. Bis auf die rot-blau-grüne Diskokugel und den grünen Schein des Fernsehers ist alles stockdunkel. So sitzt man dann da unterm Mangobaum und erörtert die mehr oder minder wichtigen Dinge unserer Zeit. Einer der Kollegen beriet uns, was die Auswahl von Parfums angeht und riet mir – bei meinem Typ – absolut von auf Rose basierten Wässerchen ab, eher was fruchtiges… ich werde dann mal recherchieren, ob mein derzeitiges Parfum der Wahl die Kriterien erfüllt 😉
Gute Nacht aus Monrovia, der nächste Eintrag folgt bestimmt!
Barbara

Fishtown Nightlife

Nach dem leckeren Essen bei Mohammad Ali fahren wir noch zu Sono Victor, auf ein kühles Bier oder eine Cola- der Boxer hat nur Wasser im Angebot. Bei Sono Victor sitzt man auf der überdachten Terrasse gegenüber vom ehemaligen Kino. Und eigentlich ist es ein Tante-Emma-Laden. Mayonnaise, Erdnussbutter, Ovomaltine, Kekse, Seife, Zahnpasta, Reis… eine wahrhaft funkelnagelneue Tretnähmaschine funkelt in der Ecke, in Szene gesetzt durch die eine Birne, die mit sich und der Welt im Einklang von der Decke baumelt. Der Generator brummt hinterm Haus vor sich hin.

Am anderen Ende der Terasse sitzen zwei Frauen aus geflochtenen Stühlen und füllen Wasser aus der Pumpe in 1-Liter-Plastiktüten ab. Die verbringen die Nacht dann in der Kühlbox und werden morgens für 5 Liberty verkauft (ca. 2 Euro Cent… oder?). Drei Jungs, vielleicht 10 Jahre alt, hocken ernst um eine Kiste herum und sind wortlos in ein Kartenspiel vertieft. Ein kleiner Bruder, der gerade laufen kann, will mitmischen, und kriegt auch immer mal wieder eine Karte, die er dann professionell auf den Tisch knallt. Irgendwann wird es den anderen aber doch zuviel und sie ziehen sich in den Laden zurück. Ein LKW wird startklar gemacht, er bricht auf nach Harper, fährt in die Nacht hinein. Wahnsinn, denke ich nur, einfach der blanke Wahnsinn, bei diesen Straßenverhältnissen. You have to follow the will of the mud, dem Willen des Matsch folgen, sagte Philip, der Officer in Charge im Büro Fishtown.
Zwischenzeitlich hat der kleine Zocker eine Freundin gefunden, die mit großen Augen vom Straßenrand auf die Terrasse starrt, eine Hand im Mund, mit der anderen ihr rosa Kleidchen bis zur Brust hochhaltend. Liebe auf den ersten Blick. Victor geht das alles nichts an. Der sitzt vor einem tragbaren VCR-Player und schaut sich einen schlechten nigerianischen Film an. Aber die Musik ist laut und es geht viel ab. Nur manchmal müssen wir ihn um weitere Getränke bitten. Die Jungs haben das Kartenspielen aufgegeben und es sieht aus, als seien sie zu Hausaufgaben übergegangen. Erst das Vergnügen, dann die Arbeit. Der Kleine hat seine neue Liebe aufgeben müssen und weint herzerweichend. Seine Mutter, die mit dem Wasserverpacken fertig ist, gibt ihm die Brust und der Friede ist wieder hergestellt. Über den Hausaufgaben ist einer der Brüder eingeschlafen und liegt zwischen Säcken voll Reis im Laden, gleich unter dem Regal mit der Erdnussbutter und den Taschenlampen, 180 Liberty pro Stück, inkl. Batterien.

Unterwegs mit Montezuma

Ganze 48 Stunden hat mein Magen-Darmtrakt mitgehalten… ich vermute, es war das Hühnchen gestern Abend. Nix zum Frühstück, Brot zu Mittag, abends dann bei Mohammad Ali in Fishtown was riskiert – wir werden sehen. Alle wundern sich über meinen Wasserkonsum…

Heute also sind wir von Zwedru nach Fishtown gefahren. Das sind um die 100km Luftlinie wie der Kollege mit dem GPS feststellte. Unterwegs waren wir ungefähr 6 Stunden. Dabei lief es eigentlich für Regenzeitverhältnisse ganz gut. Es wird nun immer mehr zur Dschungeltour mit Sümpfen. Oder, dort wo die Projektaktivitäten gegriffen haben, zu Reisfeldern umgewandelte Sümpfe. Ganz nach dem heute gesehenen Motto: „Feed Liberia! Grow more food!“

Wegen meines altvertrauten Reisepartners kam es dann auch zu ad hoc-Inspektionen von Schullatrinen, die im Rahmen des Projekts gebaut wurden. Test bestanden, eindeutig noch nutzbar und als „gepflegt“ zu bezeichnen. Dass wir deswegen den Unterricht von ca. 200 Schülern zum Stillstand brachten, tat mir leid… den Schülern offensichtlich weniger.

Regenzeit… wir sind an so einigen festsitzenden Fahrzeugen vorbeigekommen. Der Fahrer des LKW zur rechten war ein ziemlich junger Bursche, den ich im Vorbeifahren vor seinem Fahrzeug sah – von oben bis unten voller rotbrauner Matsche, mit Spritzern bis zum Haaransatz, gab er mir einen Daumen hoch und als ich mitleidig die Schultern zuckte, breitete sich gar ein Grinsen über das ganze Gesicht aus. An anderer Stelle saß ein Tankzug fest und hinter ihm standen schon vier weitere LKW und harrten gespannt der Dinge, die da auch noch auf sie zukommen sollten.

Wir machten kurz vor unserem Ziel Fishtown einen Abstecher in Richtung Barclayville, einem neuen Projektstandort, wo ich dann mal feststellen sollte, wie elendig viel schlechter die Straßen noch sein können. Der Fahrer stellte das Tacho auf 0 und nach 3,7km ging es nicht mehr weiter, da an einem Abhang entgegenkommende Fahrzeuge feststeckten. Auf meine Frage, wie weit es denn da noch nach Barclayville sei, war die Antwort: „So etwa 70km.“ Durch Schlammpools bis zum unteren Rand der Seitenfenster. Und da muss ein Kollege morgen hin. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, wie man das in einem Tag schaffen soll. „God is in control“ prangte auf einem LKW – das eher weniger fatalistische „Be brave“ auf einem anderen. Good luck, kann ich da nur sagen.

Fishtown selbst hat irgendwie so einen Wild West Feel an sich. Und ehrlich gesagt hatte ich es mir schlimmer vorgestellt. Klein, aber Leben drin. Und bis zumindest 22 Uhr was los im Dorf, es gibt viele Generatoren, so dass das Leben sich weiter als normal in den Abend hineinzieht. Nein, kein Restaurant, das den Namen verdient, kein Kino, kein Theater, kein Supermarkt, aber auch nicht die völlige Ödnis. Man kriegt auch ein Bier oder eine Cola. Gekühlt! Bei Mohammad Ali gab’s eine Portion Nudeln mit Zwiebeln und einer nicht näher definierten, aber schmackhaften Sauce. In Anita’s Business Center kann man ebenfalls erfrischende Getränke zu sich nehmen – wenn denn Anita ihren nicht zu verachtenden Allerwertesten erhebt und sich zu einer Bedienung herablässt.

Mit diesen Worten viele Grüße aus Fishtown… ich muss mich zur Ruhe betten, auch wenn die Nachtwächter draußen weiter Palaver halten. Aber dann schlafen sie wenigstens nicht. Und apropos Palaver – das ist ja hier traditionell ein großes Dingen. In der kleinsten Siedlung… oft selbst, wo nur ein Haus mitten auf von Hand geschaffenen Lichtung im Urwald steht, gibt es eine „palava hut“, also frei übersetzt eine „Palaver Hütte“… wo man sich trifft, um eben das zu tun: reden. Entweder nur ein bisschen Austausch nach Feierabend oder aber hochoffizielle Meetings, in denen es wichtige Dinge zu entscheiden gilt. Und jede Institution, die etwas auf sich hält, halt natürlich auch eine solche. Dann weniger palmenblättergedeckt und auf Bambusstäben, sondern mit Wellblechdach, Betonboden und weißen Plastikstühlen – aber das Prinzip bleibt das gleiche. Ist eben kein großer Sitzungssaal, sondern die palava hut. Gefällt mir irgendwie.

Schluss mit dem Palaver!
Gute Nacht!
Barbara

Unterwegs mit Othello

Am späten Montagnachmittag bin ich pünktlich in Monrovia angekommen und wurde von einem Kollegen in Empfang genommen, mit dem es dann die ca. 60km vom Flughafen in die Stadt und zum Büro ging. Was mir gleich die Frage in den Mund legte, welche Gründe es denn wohl gegeben haben mag, den Flughafen so weit weg zu bauen? Tja, es sei ja auch eigentlich gar nicht der von Monrovia, da gebe es einen kleineren nahe bei. Dieser internationale sei gebaut worden, als Firestone noch aktiv war in Liberia, siehe dazu später zum Thema Kautschuk.

Zu einem kleinen Willkommensumtrunk ging es zu Linda’s Enterprise gleich um die Ecke, eine kleine Kaschemme mit ca. 20 Plastikstühlen an ebensolchen Tischen davor, ohrenbetäubender Pop aus Nigeria kam aus irgendwelchen Lautsprechern und zwischen den Tischen musste man aufpassen, dass man nicht über unzählige Verlängerungen von Verlängerungskabel stolperte, denn hier war surfen angesagt: WLAN und im Schnitt an jedem Tisch zwei Laptops vertieft im WWW.

Nach Abendessen und anschließender „Eimerdusche“ im Guesthouse war ich dann ziemlich schnell im Reich der Träume – bis gegen 3 Uhr morgens der verdammte Hahn von gegenüber meinte, den Tag einläuten zu müssen. Und da es nicht wurde und nicht wurde mit dem Tag, hat er das stundenlang durchgehalten. So war es dann wirklich kein Problem, bereits um 7 Uhr abfahrbereit nach Zwedru zu sein.

Dass ich das mit dem Liberian English nicht draufhabe, merkte der Fahrer Othello alsbald grinsend an – musste ich jede Aussage mindestens dreimal nachfragen und verstand meist immer noch nichts. Was man aus How da body? zu machen hat, versteht man irgendwann (Wie geht’s?). Die häufige Antwort I’m tryin‘ small interpretiere ich als Man schlägt sich so durch.. Viel schlimmer jedoch ist es in ganz normalen Zusammenhängen, wo das Problem nicht nur etwa eine, sagen wir mal „alternative“ Grammatik ist, sondern einfach die Beschränkung auf die Anfangssilben von Worten – bei fast jedem Wort. Schon am Abend vorher wurde mir im Restaurant mixfreirei angeboten, was denn da mixed fried rice wäre. Hoffnungslos verloren hingegen war ich heute im Auto nach dem Hinweis „wiegobäro“. Nachdem ich viermal nachgefragt hatte meinte Othello dann, er würde das schon merken, ich verstünde das alles nicht (no shit, Sherlock!) – es war der dezente Hinweis, dass wir von der Asphalt- auf die Staub-bzw. Matschpiste wechseln würden, also „we go bad road“ bzw. „we go on the bad road now“. Manchmal denke ich, es ist der arabischen oder persischen Schriftsprache nicht unähnlich, wo man sich auch so seinen Teil dazu denken muss, um daraus Sinn zu machen…

Die Straßen Liberias, ob nun asphaltiert oder nicht, bieten immer wieder neue Entdeckungen. Zuerst dachte ich an Löwenzahn, als ich herausgerissene Grasbüschel auf dem nicht vorhandenen Mittelstreifen sah, erkannte jedoch bald, dass die nicht durch den Asphalt gebrochen waren, sondern eben darauf lagen. Der Zusammenhang war aber erst klar, als ich es dann mal frisch erlebte: es ist sozusagen das Warndreieck und man knallt auf 50m alle drei Meter oder so einen Büschel hin, damit der nachfolgende Verkehr weiß: Achtung! Da vorne ist ein Unfall / eine Panne. Auch noch nie gesehen war die menschliche Kühlerfigur: auf einem wunderbar gelben Taxi saß ganz leger im Damensitz ein junger Mann auf der Beifahrerseite auf der Motorhaube, während das Gefährt mit geschätzten mindestens 60 km/h durch die Welt bretterte. Ob der für den Trip auch noch zahlen musste?

Die Aufschriften auf den LKW und anderen Beförderungsmitteln sind wieder wunderbar, so zum Beispiel Barcelona FC – Thank God I made it Was? Wohin hast du es geschafft? Und was hat der FC Barcelona damit zu tun? Fragen über Fragen… Obama Transport USA. Das ist mal eine Aussage, da bleiben keine Fragen offen. Auf einem Mülltransporter stand Sanitation is dignity und ich dachte: ja, genau das ist es und wieso muss das erst bekannt gemacht werden? Die Kellnerin im Restaurant in Zwedru hatte das noch nicht gelesen, räumte sie doch Kronkorken, leere Zigarettenschachteln und Klopapier (!) vom Tisch, indem sie alles zusammenknüllte und kurzerhand von der Terrasse in den vollkommen überfluteten Hinterhof warf. Das mit dem Klopapier ist auch so ein Dingen. Das wird in Restaurants und Kneipen nämlich offenbar als ästhetisch wertvoll angesehen, wird damit doch vor dem Servieren der Flaschenhals umwickelt… oder aber es macht den Anschein von gesteigerter Hygiene?

In der Zwischenzeit ist es Mittwochabend, die Zeit vergeht wie im Flug – obwohl hier „die Welt untergeht“ vor lauter Regen und ich deswegen heute auch nicht wie geplant zu Projekten rausfahren konnte. So insgesamt war das nicht weiter tragisch, es gab auch im Büro ein Betätigungsfeld. Man „so einige“ Stellen ausgeschrieben und es waren „so einige“ Bewerbungen reingekommen. Wir schätzen mindestens 1500. Heute haben wir – die Administratorin, die Funkerin, weitere wechselnde Kollegen und ich – schon mal etwa 800 Umschläge aufgemacht und nach Standorten sortiert. In liberianischer Namensgebung bin ich nun sehr bewandert. Es schickt mich jedoch auch in diesem Kontext, wie wenige Leute es fertig brachten, den Namen des zuständigen Kollegen richtig auf den Briefumschlag zu schreiben. In einem Fall wäre dies „Hamid“ gewesen. Da war alles dabei, von Hanid, Homid, Honid, Hameen, Harnid – bis hin zu Humid. Aber festgeschriebene Rechtschreibung gibt es wohl auch nicht. Nancy kann auch schon mal Nensee geschrieben werden. Cool hingegen finde ich die mir bislang unbekannten weiblichen Formen von John und Stephen: Johnetta und Stephenetta. Denke dabei aber zumeist an „Ich möchte Loretta genannt werden“ und ihre Volksfront von Judäa. Michael Jackson lebt und schlägt sich nun als Fahrer durch; auch Anthony Yeboah versucht sein Glück nun in Liberia – als Logistik-Assistent.

Aber ich wollte ja auch noch was zu Kautschuk sagen… und dann ist’s gut, denn morgen will ich das dann in Fishtown vielleicht doch langsam auch mal posten. Auf dem Weg von Monrovia nach Zwedru sind wir neben so vielem anderen auch an ehemaligen Firestone Kautschuk-Plantagen und dazugehörigen Wohnsiedlungen vorbeigekommen. Die waren hier groß im Geschäft und riesige mit Kautschukbäumen bestandene Monokulturen säumten unseren Weg. Die Bäume werden sozusagen angeritzt, dann wird ein Schälchen drangehängt und da läuft der Saft dann rein, wird eingesammelt und – wie ich vermute, habe vergessen zu fragen: eingekocht. Überall gibt es Kautschukankaufstellen, ich habe ganze Pick-up-Ladeflächen voll der wabbeligen dreckig-weißen Masse gesehen… wie diesen Schleim, den man an die Wand werfen kann. Und gerochen habe ich es auch… kann’s zwar nicht beschreiben, aber ich würde es jetzt jederzeit wiedererkennen… Da ist wohl noch ein ganz nettes Geschäft mit zu machen. Aber so richtig Kohle ist woanders; Eisenerz oder Gold zum Beispiel. Und wie man das häufiger sieht auf diesem Kontinent, gibt es dann schonmal eine großzügig angelegte Uni außerhalb der Hauptstadt, funkelnagelneu, nur scheint kein Schwein drin zu sein. Oder ein schickes Krankenhaus, vor 6 Wochen feierlich eröffnet. Aber keiner drin. Dabei ist es unklar, ob es ein Mangel an Personal und/oder Medikamenten ist. Viele Grüße aus Fernost, die Konzessionen sind vergeben.

Schauen wir mal, was uns die Fahrt morgen noch alles offenbart. Ich bin gespannt, ob auch wieder soviel Getier unterwegs ist. Ich habe zwar nichts exotisches gesehen, aber so ziemlich alles andere: Hunde, Ziegen, Schafe, Kühe, Mäuse, Eichhörnchen, Schweine, Hühner… letztere dann auch KLATSCH voll vor meinen Teil der Windschutzscheibe, aber das Gackern war noch im Abprallen zu hören. Obwohl… dafür sind die bekannt, oder?? Noch lange nach Ladenschluss Lebenszeichen von sich zu geben??

Hier ist jetzt auch Ladenschluss und ich stelle die Lebenszeichen jetzt vorübergehend ein, Gute Nacht!
Barbara

Unterwegs im Herbst


Der Herbst ist da – manchmal schön, wie bei den Sonnenblumen und anderen im Botanischen Garten am letzten Wochenende, manchmal so grau und etwas trostlos wie gerade jetzt, mit leichtem Nieselregen. Heute vormittag spazierte ich die Poppelsdorfer Allee hoch und stellte erfreut fest, dass es schon Kastanien zu sammeln gibt und es schoss mir durch den Kopf, dass Kastanien für mich das schönste am Herbst sind – wie Schlüsselblumen das schönste am Frühjahr. So hob ich also eine Kastanie vom Boden auf, schob sie von einer Hand in die andere, drehte und wendete sie in einer Hand und bewunderte die glatte Oberfläche. Im Geiste pfiff ich ein Liedchen vor mich hin, warf die Kastanie übermütig in die Luft und testete meine motorischen Fähigkeiten, indem ich ihren freien Fall durch einen einem Volleyballaufschlag von unten ähnlichen Schlag jäh beendete und sie auf die Grünfläche schickte. Federnden Schrittes ging ich nach Hause und dachte nicht weiter darüber nach – bis ich das Badezimmer putzte und feststellte, dass ich doch allen Ernstes einen Bluterguss davongetragen habe: einen fetten blauen Fleck auf dem untersten Fingerknochen am Zeigefinger (oder auch phalanx proximalis II, wie ich mich kundig machte… interessanter Begriff). Ehrlich…

Und das noch vor der Abreise nach Liberia morgen – eine zweiwöchige Dienstreise mit dem Besuch unterschiedlichster Standorte. Ich bin sehr gespannt… auf die schwüle Hitze, auf die hoffentlich letzten Ausläufer der Regenzeit, auf Land und Leute ganz allgemein und überhaupt. Was verbindet man allgemein mit Liberia? Nicht viel… Bürgerkrieg. Irgendwie Ärger mit dem Nachbarland Sierra Leone und Blutdiamanten. Und irgendwie hängt ein ehemaliges Topmodel da mit drin… so oder ähnlich nimmt man das Land wahr, wenn überhaupt. Ich wusste schon länger, ohne darüber nachzudenken, dass die Flagge der US-amerikanischen nicht unähnlich ist. Das kommt nicht von ungefähr: Liberia war gedacht als Land zur Wiederansiedlung ehemaliger amerikanischer Sklaven und war einer der ersten unabhängigen Staaten Afrikas. Und ab morgen wird sich dieses und anderes Wissen hoffentlich mit Leben füllen. Seit heute läuft auch die Malaria-Prophylaxe und wenn ich mich auch nicht in der ersten Stunde nach Einnahme übergeben musste oder halluziniere, so habe ich doch Kopfschmerzen und hoffe, dass das in den nächsten drei Wochen kein Dauerzustand wird.

Ich melde mich – hoffentlich direkt aus Westafrika!
Schönen Restsonntag
Barbara