Ohne Worte

„Unser“ Schwedisch sprechender Kuwaiti mit seinem sudanesischen Director Operations wird das erste und das letzte Mal im Kongo gewesen sein, nachdem sie mehr als zwei Wochen gebraucht haben, um ihren Truck mit unseren beiden Containern aus den Zoll zu bekommen. In der Zwischenzeit kam es zu einer weiteren Krisensitzung mit den beiden, bei der außerdem die kongolesische Polizei und unser „Entzollungsagent“ anwesend waren. Der Polizist war eingeschaltet, um zu bestätigen, dass sie einem Kollegen ein nicht quittiertes Bestechungsgeld in Höhe von 600 USD gezahlt hatten, um den Ablauf zu beschleunigen. Im Ernst. Der Polizist, Mr. Ezechiel, wie der Erzengel, erklärte, dass jener Kollege die „Gebühr“ kassiert und sich geweigert habe den beiden zu unterschreiben, dass er das getan habe, damit er sie in voller Höhe für sich behalten könnte. (Gibt es in diesem „Geschäft“ auch Teilabrechnungen??) Nachdem ich diese Erklärung verdaut hatte, fragte ich mit einem guten Schuss verdattertern Interesses nach, was das denn für Folgen für den Kollegen habe. Der Erzengel sah auf seine wie zum Gebet gefalteten Hände vor ihm auf dem Tisch und sagte mit einem die Lippen zart umspielenden Lächeln: „Gar keine.“

Die Diskussionen gingen weiter und leider war ich als einziger wieder mal in der Lage, allen irgendwie zu übersetzen, was der andere gerade gesagt hatte. Das übliche Durcheinander im Hirn war schnell erreicht, so dass in einem Fall mein Gegenüber, Mr. Wenceslas, unser Agent – ein Bär von einem kongolesischen Mann, dabei aber mit einem leicht lächerlich wirkenden Charlie-Chaplin-Schnurrbart – mich liebevoll anlächelte und meinte: „Iiiinglisch!“ Das Elend nahm weiter seinen Lauf, als sich herausstellte, dass die Spediteure sich nicht in der Lage sahen, die zugegebenermaßen besch…. Straße zu unserem Lager runter zu fahren – die allerdings seit einer halben Ewigkeit befahren wird… unzählige dort bereits stehende Container legen Zeugnis davon ab. Mittlerweile vollkommen entnervt haben wir sie dann auf dem Bürogrundstück abladen lassen und das Intermezzo ist letztlich zu einem Ende gekommen. Der Unternehmer aus Mombasa, dessen Subunternehmer die Herren waren, meldete sich dann irgendwann telefonisch, ob denn nun alles geregelt und diese Episode abgeschlossen sei und ich sagte: „Es scheint so – es sei denn, sie tauchen wieder auf!“ Woraufhin selbiger sich halb weggeschmissen hat und meinte, wir könnten versichert sein, dass das nicht passieren würde… Aber ich hatte keinen weiteren Auftrag im Sinn, sondern vielmehr die Möglichkeit, dass sie noch an diesem Tag wieder auftauchen könnten mit irgendeinem Problem…

Wer definitiv nicht auftauchte, war der für Montag (21.4.) angekündigte Auditor und er hatte offensichtlich auch kein funktionierendes Telefon, um uns von evtl. Verschiebungen in Kenntnis zu setzen. Dienstags gegen 16:30 Uhr kam er dann, um anzukündigen, dass er mittwochs zwischen 10 und 11 Uhr seine Arbeit aufnehmen würde. Er kam auch, aber nur um mitzuteilen, dass es doch Donnerstag würde. Mittwoch hätte er eigentlich schon zu einem Ende kommen sollen, was gut getimed gewesen wäre mit der Ankunft meiner Nachfolgerin, mit der ich nach Ankunft umgehend in eine Power-Übergabe mit Monatsabschluss und der zweimonatlichen Abrechnung für einen unserer Geber steckte. Soviel zu dieser Idee, basierend auf geradezu schwachsinnig penibler deutscher Planung. Am Donnerstag kam er aber tatsächlich und machte sich an die Arbeit. Auch Freitagmorgen wurde er zwischen 8:40 und 8:50 Uhr von mehreren unabhängigen Zeugen gesichtet, denen ich aber allen Anonymität zusichern musste. Dann war er auf der Vermisstenliste bis etwa 14 Uhr. Gegen 15:30 Uhr fragte er entgeistert (und EINZIGE Frage bislang), ob ich die Zahlen aus dem letzten in Frage kommenden Monatsabschluss mal mit dem Kontoabgleich verglichen hätte, das würde hinten und vorne nicht stimmen. Ich konnte nur darauf hinweisen, dass er dabei war, USD mit EUR zu vergleichen. „Ja, aber wir prüfen doch in Euro!“ sagt er… „Ja,“ entgegnete ich, „aber deswegen ist und bleibt das Konto, dass Sie sich ansehen, ein USD-Konto!“ Gegen 17:30 Uhr am Freitag meinte ich, ich würde dann mal Schluss machen, aber ich könne diese Tür auflassen, wenn er dann das Schloss zumachen würde. „Okay, bis morgen,“ sagte er und ich hatte die Faxen dicke. „Äh – unser Büro ist morgen geschlossen!“ Ja, was das denn sei, wenn er drei Tage frei machen würde, könnte er nie zu einem Ende kommen. Und ich sagte „Naja, eigentlich wollten Sie ja auch am Montag anfangen und überhaupt: wie jetzt, drei? Morgen ist Samstag!“ – „Was, schon Samstag?“ Joooooo…. Ich Unverbesserliche sagte dann aber zu, gegen 11 Uhr im Büro zu sein und auch am Samstag das Audit zu betreuen. Das war ich dann auch, bis 15 Uhr. Aber ratet mal, wer nie kam? Ich fasse den Rest der Sache kurz: das Audit, das drei Tage hätte dauern sollen, zog sich über DREIZEHN Tage, mitten in einer nicht wirklich stressfreien Übergabe… Es gibt da so zwei Begriffe, viel unterschätzt: „billigstes Angebot“ und „wirtschaftlichstes Angebot“…

Mittlerweile bin ich in Kigali angekommen, wo rein terminlich auch nicht alles so läuft, wie mal angedacht, aber ich finde Erholung im Hotel bei CANAL+ und den Cartoon-Fröschen Sancho und Pancho auf Französisch – mit spanischem Akzent. Und die heißen hier Rancho und Wancho.

Als Kontrastprogramm habe ich es nach einigen Erledigungen „für Goma“ und einem Besuch in unserem Büro in Kigali heute Nachmittag noch zum Genozid-Museum geschafft. Dass das ein Besuch der anderen Art werden würde, war schon klar, als der freundliche Herr am Eingang seine Einführung in etwa mit den Worten: „Also, im Außenbereich haben wir Massengräber…“ begann. Die untere Etage befasst sich mit den geschichtlichen Entwicklungen, die zum Genozid in Ruanda führten – ein Hintergrund, der mir noch nicht bekannt war. Nicht wirklich überraschend dabei die Tatsache, dass Entscheidungen der Kolonialmächte entscheidend dazu beigetragen haben, dass sich solche Hassgefühle entwickeln konnten. 1932 wurde eine Art Personalausweis eingeführt, in dem vermerkt war, ob man Tutsi oder Hutu war – das war vorher erstens ziemlich egal und konnte sich zweitens im Laufe des Lebens je nach Situation ändern. Ein Tutsi war man nach den neuen „Regeln“, wenn man 10 oder mehr Kühe besaß. Wie sich diese Tatsache im Detail auf die angeblich an ihrem Körperbau und ihren Gesichtszügen („Die langen mit dem dünnen Hals und dem Pferdegebiss“) zu erkennenden auswirken konnte, bleibt mir ein Rätsel. Daraufhin angesprochen meinte der Fahrer, der mich begleitete, dass das IMMER zu erkennen sei, ganz klar. So wie man ihn von mir unterscheiden könnte, könnte man einen Hutu von einem Tutsi unterscheiden. So sei es denn. Erste Massaker gab es 1959 nach dem Tod des Königs und in den 60er Jahren erfolgten Zwangsumsiedlungen und bis 1973 waren 700.000 Tutsi bereits im Exil. Der „Genozid auf Raten“ begann dann schon im Oktober 1990 und erreichte seinen grausigen Höhepunkt dann bekanntermaßen im Frühjahr 1994. Diese Entwicklungen, die Darstellung des „Höhepunkts“ und die Folgen sowie auch Beispiele von „kleinen Leuten“, die über Monate Menschen bspw. unter ihren Betten versteckt haben sind gut aufgearbeitet in großen, beschrifteten Fototafeln und Interviews und anderen bewegten Bildern die man auf Touchscreens aufrufen kann. Im Obergeschoss ist Genozid… als „Konzept“ allgemein dargestellt und definiert, die frage, obund wie man dagegen arbeiten kann wird diskutiert, andere Beispiele werden genannt – als erstes der Genozid der Deutschen an den Herero in Namibia 1904/05… davon hört man bei uns ja eigentlich nur mit viel Glück mal was, wohl weil die Ereignisse im Zweiten Weltkrieg alles andere überschatten. Dann erfährt man mehr zum Völkermord an den Armeniern 1915-1918, natürlich zum Holocaust, zu den Roten Khmer in Kambodscha 1975-1979 und dem Balkan-Konflikt der 90er Jahre. Das alles kann man noch irgendwie verdauen, der abschließende Schlag in die Magengrube ist dann eine Ausstellung von überlebensgroßen Kinderfotos, die als Titel den Namen des Kindes tragen. Darunter dann eine Tafel, die sich in etwa so lesen lassen (frei erinnert):

Eric, 4 Jahre
Lieblinssport: Fußball
Lieblingsessen: Milch mit Keksen
Bester Freund: sein Cousin Jean Paul
Charakter: Lausbub
Todesursache: Zerhackt durch Machete

Oder

Josephine, 2 Jahre
Lieblingsessen: Bananen
Bester Freund: Schwester Adolphine
Charakter: weint viel
Todesursache: Schädel an einer Wand zertrümmert

Abschließend kamen wir dann in den Bereich der anfangs angekündigten Massengräber, in Sachen Gestaltung unspektakuläre, betonierte Felder, hier und da Blumengebinde, in einer kleinen Parkanlage. Wie genau ich den Brunnen einstufen soll, der als Eckpunkte tönerne Statuen in Form von am Handy telefonierenden Schweinen hatte, weiß ich noch nicht…

Ab Mittwoch darf ich mich wieder so profanen Fragen widmen wie „Wieso ist die Frischmilch alle?“ oder „Kauf ich jetzt die lila Kuh oder doch quadratisch?“ und kann darauf bauen, dass Signore Franco von der Pizzeria nebenan erstens eine Pizza anbietet, die vom Preis-Leistungsverhältnis her definitiv das wirtschaftlichste Angebot ist und er zweitens um PUNKT 23:00 Uhr die Küchentür ein letztes Mal zuknallt. Wer hätte gedacht, dass man mal Einwohner mit mediterranem Migrationshintergrund in einem solchen Zusammenhang als Paradebeispiele darstellen würde. Aber das ist alles Relativitätstheorie in Reinform.

Ommmmmmmmmmmm.
Barbara

Barbara und ich

„Goma kann man nicht erklären, das musst du dir selber ansehen,“ hatte im Herbst der angereiste Freund des Projektleiters geantwortet auf die Frage, warum er sich Goma (und nur Goma) für einen Urlaub ausgesucht habe – das sei ihm so gesagt worden und er könne das auch nur unterstreichen. Ich habe in den letzten Tagen den Eindruck gewonnen, dass sich hier schleichend eine Persönlichkeitsspaltung breit macht, die Realität von 99% derer in Goma lebenden und die Realität des anderen 1%. Dumm, wenn man da in beiden irgendwie drinhängt.

Vergangene Woche habe ich mich mit einer Ethnologin der Universität Bayreuth getroffen, die uns ausfindig gemacht hatte. Sie beschäftigt sich im Rahmen ihrer Promotion mit jugendlichen IDPs – Internally Displaced Persons, oder auch Binnenvertriebenen. Dazu hat sie bereits in Kolumbien gearbeitet und möchte nun Vergleiche ziehen, allgemein gültige Muster finden und beschreiben usw. Dazu macht sie Interviews und kommt in der Stadt und auch außerhalb viel rum, immer auf den Motorrad-Taxis. Untergekommen ist sie allerdings bei einer wohlhabenden kongolesischen Familie mit Bediensteten, was für sie den täglichen Schuss Schizophrenie ausmacht. Wir haben uns zum Abendessen getroffen und lange geredet – saßen dabei auf einer Terrasse am Ufer des Kivu-Sees, ließen uns Fischgerichte bringen und zum Nachtisch einen Crepe mit Cognac und haben mit 50 USD alles in allem fast das Doppelte von dem ausgegeben, was der Bedienstete im Haus ihrer Gastgeber im Monat verdient. Nun, jetzt auch nicht mehr, denn er hat sie gleich am ersten Tag um ihre gesamte Barschaft erleichtert und ward nicht mehr gesehen. Kommt mir ein bisschen bekannt vor… Es war wie an der Côte d’Azur, leichter Wellengang, Palmen, Sonnenuntergang – das Licht war so gut, dass man die umliegenden Hügelketten ungewohnt scharf sehen konnte. „Draußen vor der Tür“ ist es mittlerweile soweit, dass sich mir morgens auf dem Weg zur Arbeit beispielsweise Menschen vor das Auto werfen, um Geld bitten, um sich ihr deutlich erkennbares Hautproblem behandeln zu lassen, die Reise nach Goma habe schon alle Mittel aufgebraucht. Und wenn man den einen oder anderen Kilometer weitergeht, ist man am Flüchtlingslager – und jenseits davon ist eigentlich weiterhin mehr oder weniger „no go area“.

Das Flüchtlingslager war auch das i-Tüpfelchen auf einer bizarren Erfahrung in deren Genuss der Projektleiter und ich am Freitag gekommen sind. Es hatte sich eine Delegation deutscher Parlamentarier angekündigt. Einige Tage zuvor hatten wir bereits den Eindruck gewonnen, mindestens George Bush müsse im Anflug sein, als ein Trupp kahl rasierter Deutscher in beige und pastell-khaki mit „Mann ihm Ohr“ Einlass erbaten um festzustellen, ob unser Grundstück für den Besuch auch sicher sei (keine zu versiegelnden Kanaldeckel). Wer das für surreal gehalten hat, wurde freitags dann eines besseren belehrt. Nachdem sie verspätet eingetroffen waren, hatten sie noch genau 30 Minuten, um unsere Arbeit kennen zu lernen. Wir hatten uns für einen 20-minütigen Film entschieden und schnell war man sich einig, dass wir dann einfach mit in den UN-Bus steigen und Fragen dazu auf der Weiterfahrt zum nächsten „Termin“ beantworten sollten. Jetzt war es dann soweit, dass mindestens auch noch Condoleeza Rice mit irgendwo im Auto saß: vorne dran ein blauer Pickup mit acht bis an die Zähne bewaffneten und im Anti-Demo-Outfit ausgestatteten kongolesischen Polizisten, die hatten was von Armadillos, diesen Panzertieren. Dahinter ein dicker weißer Wagen der UN und dann wir in unserem Bus – rasten in einem AFFENZAHN, mit Fernlicht, Dauer-Warnblinker und Gehupe ohne abzubremsen durch die Stadt und raus zum Flüchtlingslager, wo wir ankamen, drehten und direkt weiter zum Flughafen fuhren, da der Abflug kurz bevor stand. Noch nicht mal Zeit für ein Foto! In diesem Konvoi des Wahnsinns auch an der Absturzstelle vorbei, die eigentlich weiter großräumig abgesperrt ist. Am Flughafen sind wir raus gefahren bis direkt ans Flugzeug und der Projektleiter und ich, die wir wohl sowieso aussahen wie Pat und Patachon, da wir uns an diesem Morgen beide für Jeans und ein dunkelgrünes Hemd/T-Shirt entschieden hatten, fiel wirklich unisono die Kinnlade runter beim Anblick der Maschine, in die die Herrschaften einstiegen. „No name“, ist wohl noch das positivste, was man dazu sagen kann – aber wer weiß, vielleicht war es ja ein auf alt gemachter Kranich und alles war Undercover…

Als wäre das nicht schon alles des Guten zuviel gewesen, habe ich mich am Abend entschieden, mir „The Last King Of Scotland“ anzusehen – ein Film über den ehemaligen ugandischen Präsidenten Idi Amin, „der mörderischste der Diktatoren, die bald nach der Unabhängigkeit ihre Länder ruinierten“, wie es im Spiegel Special vom Februar 2007 zu lesen ist. Der Film ist gut und nicht nur wegen des mit dem Oscar ausgezeichneten Forest Whitaker in der Hauptrolle, aber sicher nichts für zarte Gemüter, besonders zum Ende hin – ich konnte es nicht nur nicht mit ansehen, ich konnte es auch nicht mit anhören.

Trotz allem gibt es die den Expats eigenen Luxusprobleme: die Schwierigkeiten in der Schokoladenversorgung spitzten sich noch zu. Nachdem ich unseren Fahrer gebeten hatte, im deutschen Laden in Kigali für 30 USD quadratisch, praktisch, gut zu einkaufen, war mein Gewissen schon schlecht genug. Zu meiner Verteidigung kann ich nur sagen, dass es nicht nur für mich war… Als er dann zurückkam, gab es zwei furchtbare Erkenntnisse: die Preise sind erhöht worden, eine Tafel nun etwa 5 USD. Ich sehe mich schon am Rande der Beschaffungskriminalität, aber mit dem Preis kann ich gerade noch umgehen. ABER: unwissentlich hatte er für das ganze Geld ausschließlich DIÄT-Schokolade gekauft – ich habe selten widerlicheres gegessen; wahrscheinlich lässt sich selbst amerikanische Schokolade dem noch vorziehen und das will was heißen. Meine Erkenntnis daraus (wenn schon aus nichts anderem): eine Diabetes muss unter allen Umständen vermieden werden, der Verlust an Lebensqualität ist doch wesentlich größer, als ich gedacht hätte. Aus schierer Verzweiflung bin ich dann tatsächlich dazu übergegangen, 85%ige Schokolade im Wasserbad zu schmelzen, Puderzucker, Sahne und Milchpulver unterzurühren und dann in Eiswürfel-Formen zu füllen. Es ist essbarer als vorher, aber ein Gaumenschmeichler ist was anderes. Ich ärgere mich ein bisschen, dass ich nicht auf die Idee gekommen bin, Rum hinzuzufügen…


Manchmal wickle ich auch Geschäfte mit Blutgeld ab… Geld ist hier ja immer dreckig, aber das fand ich dann doch richtig eklig
Sometimes I also do business with „blood money“… Money is always dirty here but this was really disgusting

Der schwedisch sprechende Kuwaiti und sein sudanesischer Scherge sind immer noch in Goma im Zoll, seit 12 Tagen. Mittlerweile sind sie übernächtigt und verzweifelt und haben uns gestern fast erweicht, ihnen privat unter die Arme zu greifen. Dem Kuwaiti ist sein Telefon mit allen Firmenkontakten geklaut worden, jeder, wirklich JEDER bittet nicht sondern VERLANGT Geld, Zigaretten oder sonst was, die Leute seien herablassend und unfreundlich. So was wie hier hätten sie noch nie erlebt und das sei das erste und das letzte Mal gewesen, dass sie eine Lieferung in den Kongo gemacht hätten. In Mombasa würde man, um die Dinge zu beschleunigen, hier und da vielleicht mal einem 5 USD in die Hand drücken und damit hätte sich die Sache, hier müsse man offenbar mehrmals das Hundertfache investieren. Der eine Fahrer steigt gar nicht mehr aus seinem Truck aus. Vor ein paar Tagen hatte ich schon den Eindruck, dass der Kuwaiti an sich, als quasi Weißnase, das „Problem“ ist – wäre der nicht dabei, wäre das vielleicht etwas anders ausgegangen. Selbst bei ihrem ersten Auftritt bei uns im Büro redeten die kongolesischen Kollegen nur von „dem Araber da hinten“. Man hat ihnen sicher von Anfang an angemerkt, dass sie zum ersten Mal im Kongo sind, dann haben sie niemanden dabei, der Französisch spricht (das Kisuaheli hier finden sie total unverständlich) und mit Blick auf den leichten Fang ist der Blutsaugermechanismus voll angelaufen. Aber selbst der Sudanese meinte, so was habe er noch nirgendwo in Afrika erlebt und offensichtlich müsse man in den Kongo kommen, um das wahre Afrika kennen zu lernen – diese Schlussfolgerung fand ich bedenklich…

Mittlerweile könnte ich mich „beömmeln“ (ja, dieses Wort kennt das Rechtschreibprogramm nicht!) was die Wasserversorgung angeht. Aus dem Leck sprudelt es munter weiter und das, was bisher daran repariert wurde, haben offenbar Nachbarn gemacht: etwa 7346 schwarze Einmal-Plastiktüten darum gewickelt. In der Zwischenzeit sind die Leitungen an der „Hauptstraße“ entlang des UNHCR-Grundstücks und Richtung Innenstadt frei gegraben worden, als sei man auf der Suche nach dem Leck, während unsere Straße nicht nur deutlich sichtbar und einsehbar unter Wasser steht, sondern die kleine Fontäne eigentlich den Weg weist…

Derweil gebe ich mir hier einen Vitamin-C-Schock nach dem anderen: in „meinem“ Garten stehen nämlich ein Orangen- und ein Zitronenbaum. Die Orangen lassen sich zu sehr, sehr leckerem Saft verarbeiten und eine halbe Zitrone drücke ich mir immer in ein Glas Cola. Aber die zu ernten ist kein Zuckerschlecken: Zitronenbäume haben lange und ausgesprochen spitze Dornen!! Und wenn mir ganz langweilig wird, massiere ich mir zur Abendunterhaltung einen Hauch Pili-Pili ins rechte Auge… Das ist eine extrem scharfe Sauce, die ich auch 1:1.000.000 mit Wasser verdünnt nicht essen kann – meine chinesische Mitbewohnerin in Deutschland ist begeistert, treibt sie doch selbst ihr Tränen in die Augen. Ich weiß nicht, wie es passiert ist, aber ich vermute, es waren Reste an der Flasche Mayo, die ich benutzte, dann habe ich mir nur die Brille zurecht geschoben und dann dachte ich plötzlich und unerwartet, ich muss sterben, ja so schnell ging das…

Ab dem heutigen Mittwoch, 10 Uhr, geht hier der Punk ab: die Auditoren kommen zur Prüfung eines Projekts und am Nachmittag dann „die Neue“  Ich fühle die Ruhe vor dem Sturm…

Macht’s gut und viele Grüße von
Barbara und mir

Ett kütt wie ett kütt, wat fott es, es fott un ett es noch immer jot jejange…

… bis auf vorgestern – obwohl: 19 Flugzeugabstürze in Kongo seit Jahresbeginn?! Eigentlich war dieser Blog-Eintrag ja schon fertig, aber der heftige Flugzeugabsturz vorgestern kann irgendwie nicht unerwähnt bleiben – besonders da ich nun weiß, wie wir davon erfahren haben. Unser Fahrer Bola war nämlich gerade einkaufen, als er den Riesenkrach hörte, das Gebäude erschüttert wurde und die brennende Maschine quasi vor ihm auf der Straße lag… das war um Haaresbreite noch mal gut gegangen für ihn. Ich habe mal meine Fotoordner durchgeguckt, ob ich ein Foto der Absturzstelle vorher habe, um die Gegend etwas darzustellen, aber das habe ich nicht. Leider auch keine Luftaufnahme, da es ja direkt hinter der Startbahn runtergekommen ist, wovon man aus dem Flieger kein Foto machen kann. Das unten stehende zeigt die Startbahn, am linken (nördlichen) Ende durch den erkalteten Lavastrom von 2002 verkürzt. Das war erst eine Vermutung: dass diese (zu) kurze Startbahn vielleicht der Grund war, aber dann hätte die Maschine ja gar nicht erst abgehoben. Der rote Punkt ist die ungefähre Absturzstelle und unser Büro muss man sich direkt am See, aber sicher drei Kilometer oder mehr zur rechten, nach Westen vorstellen.


Die Start-/Landebahn am Flughafen in Goma (verkürzt durch den Lavastrom von 2002)
The airfield at the Goma airport (shortened by the lava stream 2002)

Der Tag hatte schon chaotisch begonnen, als ich am späten Vormittag in ein babylonisches Sprachgewirr geriet und dann ab 14 Uhr nicht mehr in der Lage war, einen Satz vollständig in einer Sprache zu formulieren. Wir erwarten weiter die Anlieferung von zwei Containern mit Ersatzteilen und Reifen – ursprünglich aus Deutschland, angeliefert in Mombasa, Kenia, wo sie seit den Unruhen mehr oder weniger festsaßen. Jetzt sitzen sie seit einer Woche im Zoll zwischen Ruanda und Goma fest. Und an jenem schicksalhaften Tag tauchten die verzweifelten Spediteure auf, weil sie durch die lange Warterei, einer Panne auf der Strecke und Dieselklau unterwegs in Geldnöte geraten waren. Der „Director Operations“ (der Fahrer) war aus dem Sudan und sprach gewöhnungsbedürftiges Englisch. Der Chef des Unternehmens, der in der Zwischenzeit schon mit einer ersten Finanzspritze extra angereist war, war ein Kuwaiti, der ständig lautststark arabisch telefonierte, mit dem die Kommunikation allerdings bald auf Schwedisch verlief, ist er doch schwedischer Staatsbürger und wohnt eigentlich in Stockholm und vermisst seine beiden Kinder ganz furchtbar. Wer hätte jemals gedacht, dass mir schwedische Sprachkenntnisse im Umfeld der Entwicklungszusammenarbeit noch mal von Nutzen sein würden. Dazwischen das französische Alltagsgeschäft und Telefonate mit der ursprünglichen Spedition in Deutschland. Irgendwann hat mein Hirn nicht mehr mitgemacht und ich sprach Deutsch mit Kambale und verstand nicht, warum der mich so verständnislos ansah, wo doch einmal ein Satz grammatikalisch einwandfrei raus kam… Wie auch immer, die Container sind immer noch im Zoll und werden auch so bald nicht rauskommen, da aufgrund des Flugzeugunglücks erstmal keiner mehr arbeitet. Warum eigentlich?

Seit letzter Woche weiß ich, wann Hektik ausbricht. Keine Panik, aber echte, die Ereignisse sich überschlagen lassende Hektik. Wasserversorgung weiterhin besch….. Ich stehe morgens auf, dusche kurz, ziehe mich an und fange an den Tisch zu decken und bleibe mitten in der Bewegung stehen – was rauscht hier so??? Oh mein Gott, das ist die Klospülung vom Gästeklo!! Dass ich den Teller nicht habe fallen lassen, war echt alles. Sie lief und lief und lief – und ich hatte keine Ahnung, wann sie angefangen hatte zu laufen. Wie sich hinterher rausstellte, nachdem mein einer Kubikmeter fast weg war, wohl die ganze Nacht. (Obwohl ja eigentlich der Hahn zwischen Tank und Leitung hätte zu gewesen sein sollen – und wieso fängt sie überhaupt unaufgefordert an zu laufen???). Und ich kriegte sie nicht zum Stoppen. Der Hahn im Bad war fest gerostet, also Deckel beiseite geschoben und versucht zu stoppen ging auch nicht… ich musste den Deckel ganz abnehmen, die Schnur durchschneiden, die den Knopf obendrauf mit dem Ding im Spülkasten verbindet (heute wieder Wortfindungsstörungen hier) und habe den Pin von Hand runtergedrückt, lief aber weiter. Wahrscheinlich irgendwie kaputter als gedacht. Da ich aber auch den Wassernachlauf nicht stoppen konnte, habe ich in einer waghalsigen Konstruktion aus einem Schnürriemen und einer Dose feuchter Toilettentücher den Schwimmer auf einen Level heben können, an dem der Zulauf nun gestoppt ist. Der Nutzen von Klospülungen wird wirklich allgemein überbewertet – aber ich habe sie trotzdem reparieren lassen 


© CM
Freizeitbeschäftigungen im Kongo – der nächste Uri Geller
After hours in Congo – the next Uri Geller

Wie die Jungfrau zum Kinde kam ich in den Genuss eines Treffens mit dem Minister für Öffentliche Arbeiten, Infrastruktur, Grund und Boden, Transport und Kommunikation und Stadtfragen der Provinz. (Ich werde das Gefühl nicht los, der Mann könnte überfordert sein). Oder so war es zumindest angekündigt. Der Projektleiter im Urlaub war eigentlich klar, dass ich, wenn wegen nichts anderem, aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse da gar nicht auftauchen muss. Der Kollege Herr Kambale sollte die Dinge regeln, Allgemeinplätze von sich geben und repräsentativ wirken. Er und Madame Chanty waren jedoch der Ansicht, dass es besser sei, wenn ich als „peau blanche“, als Weißhaut, auch mitgehe – selbst wenn ich nach einem Satz Vorstellung das Wort an Kambale abtrete. Das Treffen war angesetzt für Mittwoch, 11 Uhr. Schon bald wurde es verschoben auf Donnerstag 11 Uhr. Gegen 10:30 Uhr kam ein Abgesandter und meinte, seine Exzellenz habe erst gegen 14 Uhr Zeit, wir würden dann einen Anruf bekommen. Der kam kurz nach 14 Uhr und in deutscher Eile brachen wir gleich auf. „Zehn Minuten, länger nimmt sich so ein Minister eh nicht Zeit,“ meinte Kambale und in Gedanken stimmte ich ihm zu. Empfang in einem schmucklosen Raum im Ministerium. Dafür ausgestattet mit den auch in Afghanistan beliebten Klotzmöbeln, die genau so konzipiert sind, dass man entweder die Füße nicht auf den Boden kriegt oder die Lehne mit dem Rücken nicht erreicht – es sei denn man fläzt sich so richtig dahin. Wahrscheinlich sollen die Teile einfach viel zu groß angelegte Räume füllen. Der Hausmeister bemühte sich mit einer kongolesischen Flagge als Tischtuch stundenlang um ein angemessenes Ambiente, Zupf hier, Zupf da, zurück, wieder hin… nur, damit es am Ende schiefer nicht hätte sein können. Auf Erfrischungen, zumindest in Form eines Tees, warteten wir vergeblich. Gewöhnt an diese Form afghanischer Gastfreundschaft ist mir das sehr negativ aufgefallen, muss ich sagen. Nicht, dass der afghanische Tee immer mundet, aber wenigstens klebt einem nach drei Stunden nicht die Zunge am Gaumen fest. Ja, so lange blieben wir nämlich. Nicht, dass wir so lange auf den Minister gewartet hätten, oh nein! Der kam gar nicht, sondern seine rechte Hand, ein „Maître“, was irgendwas juristisches sein muss… wenn ich nach der Moderation des Gesprächs gehe, ein Richter oder ein niederer Schlichter. Trotz allem war er des Öfteren mit seinem Chef in extrem wichtigen Telefonaten, „Ouiiiiiiiii, Excellence“, „d’accord, Excellence“. Derweil lief die Diskussion mehr oder weniger zwischen uns und dem Vertreter einer anderen Hilfsorganisation, die wir beide in dieser speziellen Region tätig zu sein versuchen, was sich aber aufgrund der Sicherheitslage als schwierig gestaltet. Deswegen war auch das Treffen anberaumt worden. Die andere Weißnase, Paul (vom Richter immer als Pool angeredet), sprach nur Englisch und hatte den Übersetzer dabei. Und nachdem ich mich bereits mit „Leider ist mein Französisch nicht so gut, deswegen gebe ich das Wort an Herrn Kambale“ vorgestellt hatte, hab ich irgendwann einfach nicht mehr den Mund halten können, und habe mich in die Übersetzung eingeschaltet, die einfach teilweise haarsträubend war. Und oh Wunder, ich konnte mich doch allen Ernstes halbwegs sinnvoll äußern, mit einigen Vokabeln von Kambale dazwischen geworfen. Ich war außerdem überrascht, welche Feinheiten er aus dem Englischen übersetzen konnte. Da muss man wirklich aufpassen 
Alsbald lernte ich, dass, wenn der schlichtende Richter „einen kurzen Einwurf“ machen wollte, Geduld angesagt war. Einer Diskussion über Straßenbau, in der es um Befestigungsmauern, Drainagerohre, schweres Gerät und Regensperren ging, konnte ich problemlos folgen, aber als er dann zu einem mittlerweile gefürchteten „kleinen Einwurf“ anhob und das Thema von kompaktierten Erdstraßen auf Milchkühe brachte, habe ich den Faden verloren und konnte meine gesamte Konzentration nur noch darauf verwenden, das breite Grinsen zu unterdrücken.
Ich fand es außerdem sehr interessant, die Leute zu beobachten, außer mir alles Männer. Was ich jetzt sage, könnte wieder einige zum Aufschreien bringen, aber ich schicke voraus, dass ich solche Überlegungen auch in Europa anstelle und jede Wette eingehe, dass ich einen Schweden von einem Finnen unterscheiden kann, ohne sie reden zu hören. Oder einen Italiener von einem Spanier. Und Amis erkennt man IMMER. Also, hier in Goma ist eine ethnische Gruppe die der Nande. In Butembo bilden sie die Mehrheit. Und ich finde für mich, dass es gewisse Gesichtszüge gibt, die eine Zuordnung zu dieser Gruppe wahrscheinlich sein lassen. Ich kann noch nicht mal festmachen, woran ich das zu erkennen glaube, aber es stimmt sehr oft. In dieser Runde waren aber zwei Männer, die deutlich aus der Reihe fielen und, wie ich dachte, beide wiederum zu unterschiedlichen Ethnien gehören müssen. Auf der Heimfahrt habe ich dann zu Kambale gemeint, mir fehle ja das sprachliche Vermögen für diplomatische Umschreibungen, deswegen käme die Frage jetzt vielleicht etwas unsensibel rüber, aber der Herr, der so aggressiv gesprochen habe (und groß gewachsen war, mit einem längeren Gesicht und härteren Zügen), wo der denn wohl her sei. Nein, der sei nicht von hier, der sei aus Ruanda, ein Hutu. Direkt neben ihm saß ein kleinerer Mann (in einem NEONGELBEN Oberhemd), den ich wirklich schlecht beschreiben kann. Oder schon, aber ich weiß, ich höre mich dann endgültig an wie ein Vorkriegsmodell von Ethnologe: er hatte eine deutlich andere Schädelform. Nein, der sei auch nicht von hier, der käme aus Walikale und sei ein Munyanga. Alles sehr interessant, aber wir kamen zurück von den Milchkühen auf den Erdstraßenbau und die Diskussion begann erste Funken zu sprühen, als sich Maître Robert einschaltete und sagte, er wolle uns die Geschichte von Herrn Sowieso erzählen, der einmal mit seinen Aussagen zu einem bestimmten Thema alle Gesprächspartner verprellt habe. Aber dann sei Herr Nocheinsowieso eingeschritten und habe die Wogen geglättet, indem er sagte, niemand solle sich verletzt fühlen von den Aussagen. Die seien sehr direkt und hart, aber so sei Herr Sowieso eben, das sei seine Natur und niemand müsse sich persönlich angegriffen fühlen. Und so sei das eben wohl auch die Natur des Herrn zu seiner Rechten, kein Grund zur Aufregung. Ruhe kehrte ein und ich wartete vergeblich auf die Milchkuh.

Der Büro-Tag hatte aus fluglogistischen Gründen schon um 6 Uhr begonnen und endete erst gegen 17:30 Uhr… Für mein allabendliches Privatkino schien mir „Stirb langsam“ als Ausklang angemessen…

Su jon die Jäng, sacht man in der Eifel – such is life?
Bis bald
Barbara

P.S.: Es gibt aber auch schwedisch aussehende Spanier, die mich vollkommen vom Hocker hauen können: letzte Woche kam ein spanischer Vertreter einer benachbarten Organisation mit einer Bitte zu uns und mir ist fast die Kinnlade runtergefallen – er sah aus wie Mats Wilander, nur mediterran angehaucht (und in Echtzeit etwa 10 Jahre jünger). Die Bedeutung dieser Begegnung zu erklären würde zu weit führen – so ist dieser Abschnitt nur was für Leute, die mich seit etwa den Australian Open im Januar 1988 kennen 😉

My Goma life

Hach, ich habe soviel Strom, ich weiß gar nicht, was ich damit anfangen soll  Nein, so schlimm ist es noch nicht! Die Blackouts sind momentan nur zwischen 17:30 und 20:00 Uhr – zwar ist das die Zeit, in der man gemeinhin am hungrigsten wird, aber das ist doch schon ein Anfang! Die Wasserleitung ist auch repariert. So komme ich momentan heim, gucke erstmal eine DVD auf dem Laptop und kippe eine kalte Cola bis der Strom kommt und dann ziehe ich die Kochschürze an…

Der gute alte Rod (zusammen mit dem ebenso guten Billy (Joel)) haben mich am vorvergangenen Sonntag derart in einen Wahn versetzt, es ist gefluppt wie verrückt! Irgendwann kam Donald und ich war auf dem totalen High, mich unmerklich (?) im Takt wiegend, und meinte nur „Boah, weißt du, was das für ein geiles Gefühl ist, wenn man 500 Buchungen einhackt, sich dabei die Seele aus dem Leib schreit und hinterher stimmt der Saldo??????“ Er hat mich nur mitleidig angeguckt… So aber war der Monatsabschluss am 3.4. drin und nach Bonn geschickt – aber im Ernst, es war ja nur ein Akt der Verzweiflung mit Blick auf das Restprogramm dieses Monats und der ersten Maiwoche. Aber immer eins nach dem anderen…


Butembo – das Interesse an Kameras und dem Posieren vor denselben ist immer noch groß
Butembo – interest in cameras and posing in front of them is still big

Die nächste Erkältung ist auch schon wieder im Abklingen begriffen – die habe ich mir bestimmt auf der Gorilla-Tour eingehandelt. Es ist aber auch immer irgendwas… da ich jetzt ausschließlich selber koche lässt mich mein Magen-Darm-Trakt, auf den meine Reiseapotheke eingestellt ist, total in Frieden, klopf auf Holz, und ich muss stattdessen meine Papiertaschentücher rationieren. Wie man’s macht… Und nicht nur die Nieserei raubt einem den Schlaf. Ich glaube, es war in der Nacht auf Montag, da war hier ein unglaubliches Gewitter. Dass man das Blitzspektakel über den Bergen rund um den See bewundern kann, habe ich ja letztes Jahr schon berichtet – aber das war ne ganz andere Nummer. Es hat stundenlang, mindestens von 22 bis 3 Uhr, gegossen wie in Strömen und dabei jede Minute gedonnert, dass du gedacht hast, der Vulkan bricht gerade auseinander. An schlafen war nicht zu denken, auch nicht mit Ohrstöpseln, das Gedröhne hat die Eingeweide zum Vibrieren gebracht, wie in der Disko. Der Wächter und Haushälter meinte am nächsten Morgen, er habe gar nichts gehört… ich konnte nur ungläubig staunen, aber vielleicht wohnt er ja ganz weit weg, Butembo oder so, und kommt jeden Morgen mit der 5-Uhr-Maschine der Lufthansa um seinen Dienst anzutreten 😉

Apropos Fliegen… meinen Empfang am Flughafen in Goma muss ich ja doch noch kurz schildern, auch wenn er chronologisch zum vorherigen Eintrag gehört. Alles steigt aus, man geht zu Fuß die paar Schritte zum „Arrivée F“ und stellt sich in der Schlange zur Passkontrolle an. Stehe ich also da, gedanklich noch total bei den Gorillas und dem tollen Osterfest in Butembo, da höre ich jemanden rufen: „Hooooooochchchch!“ Ich gucke hoch und es ist der befreundete „Bruder“, der sich hier um die armen Seelen kümmert, und sich nun geradewegs entgegen der vorgesehen Bewegungsrichtung durchkämpft und scherzhaft aber lauthals in die Menge ruft: „Elle est ma fiancée! Sie ist meine Verlobte!“ Damit ging die Passkontrolle mit einem Grinsen vonstatten und meine Tasche wurde auch nur sehr oberflächlich gefilzt…

In der Zwischenzeit habe ich mir – wer weiß, ob man Karneval nicht doch noch mal aktiv werden wollen könnte – ein kongolesisches Ensemble nähen lassen. Für die Oper dann doch ungeeignet. Alles in allem stellte es sich als eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Schwester einer unserer Angestellten heraus, aber was soll’s: wollte ich sowieso machen lassen und so ging es ruckzuck. Nur leider hat der Reißverschluss am Rock schon die erste Anprobe nicht überstanden… mal sehen, ob ich das noch reklamiert kriege.


Mode à la Congolaise
Fashion à la Congolaise

Tja, oben schrieb ich noch, vor ein paar Tagen, dass die Wasserleitung repariert sei, was auch den Tatsachen entspricht. Nur leider ist ganz Goma momentan ohne Wasser, der Grund ist mir noch unbekannt. Aber den lieben langen Tag lang bewegen sich Ströme von Menschen mit gelben Kanistern in allen möglichen Größen zum See, um sich dort zu versorgen. Nahebei gibt es (immer, nicht nur jetzt) eine Stelle, an der sich jeder kostenlos eine Portion Chlor holen kann, um das Wasser vom gröbsten zu reinigen. Das wird auch rege in Anspruch genommen. Mal sehen, wie lange die Wasserversorgung noch ein Problem bleibt. Es ist mir wirklich vollkommen unverständlich, in einer Gegend, wo es soviel Wasser gibt – man muss keine teuren Meerwasserentsalzungsanlagen bauen oder kilometertief bohren um auf irgendwelche fossilen Vorkommen zu stoßen. Da gibt es meiner Meinung nach Regionen, in denen es auf den ersten Blick wesentlich schwieriger und teurer sein sollte, die Wasserversorgung aufzubauen und am laufen zu halten.

Derweil haben wir ein Schokoladennachschub-Problem. Der deutsche Laden in Kigali hatte nichts quadratisch, praktisch, gutes mehr und nun haben wir nur noch Aachener Produktion zu 85% Kakao – das kann ja keiner essen. Nun überlegen wir, ob man diese nicht einfach erwärmen, mit etwas Sahne und Zucker anreichern und für die tägliche Suchtbefriedigung anpassen kann. Der eine meint allerdings, so mit Sahne mit das zu dünn, man sollte Milchpulver nehmen. Vielleicht sollte ich den mir bekannten Chocolatier in spe mal privat anschreiben und nach einem improvisierten Rezept fragen…

Was mache ich sonst noch so, wenn ich mich nicht gerade in Ekstase buche? Ich sichte Angebote für eine mittlerweile etwas unübersichtlich große Anzahl an Ersatzteilbestellungen für LKWs und Baumaschinen unterschiedlichster Bauart, von Kettenspannern über Bremsbeläge und Scharmesser hin zu Hydraulikpumpen. Ich bespreche diese Angebote mit dem Verantwortlichen und es wird entschieden, wo was gekauft wird. Das obliegt dann mir in Kooperation mit einer Kollegin in Deutschland. Ich beschäftige mich mit einer Bestellung riesiger Massen an Öl- und Schmierstoffen in Kenia (welches Öl in welcher Menge für welches Projekt – die Entscheidung fälle natürlich aufgrund fachlicher Unzulänglichkeiten nicht ich, aber wie was bezahlt wird, liegt bei mir). Ich regele alle möglichen Angelegenheiten, was das europäische Personal angeht. Ich bin in ewigem Kampf mit dem Internet, das von Tag zu Tag langsamer wird und mittlerweile den Versand von Anhängen komplett verweigert. Ich versuche, 35 lokale Angestellte nach Goma fliegen zu lassen. Die Maschinen, die dafür in Frage kommen, weil sie weniger schlecht gewartet sind als der kongolesische Durchschnitt, kann man an einer dreifünftel Hand abzählen. Eine fällt flach, da zu klein. Die andere – „große“ verlässliche – war schon gechartert und hat plötzlich Hydraulikprobleme und muss sofort zu einer ausgedehnten Wartung nach Nairobi. Eine andere halb große kommt ins Gespräch, die auch gut gewartet zu sein scheint. Die haben wir schon gechartert und voll beladen für den Hinflug – da kommt die Meldung, dass in dem Ort, wo sie landen soll, gerade die Mayi-Mayi Milizen den Aufstand proben und nicht geflogen wird. Wir treiben eine weitere Maschine auf, die wohl kurzfristig an einen anderen Ort fliegen würde – aber weil da die Landebahn so kurz ist, würde der Pilot maximal 4 Passagiere wieder mit nach Goma bringen; das alles lohnt sich nicht wirklich… Und so vergehen sie, die Tage, und zwar wie im Flug, auch wenn keiner stattfindet.


Madame Chanty, Kassiererin, und Monsier Kambale, Administrator
Madame Chanty, cashier, and monsieur Kambale, administrator

Und zwischendurch führe ich mit meinen direkten Admin-Kollegen, der Kassiererin Madame Chanty (deren Charme und Sinn für modische Extravaganzen die Herren in ihren Bann zieht – in vier Wochen habe ich darüber hinaus schon mindestens 5 total verschiedene Frisuren (auch Farben) gesehen und eines Morgens, als ich besonders verdutzt war, meinte sie nur lachend „Madame, das ist ein „chapeau““ – ein Hut. Sie hatte eine fesche Perücke auf)… mit ihr also und dem Administrator und für die Angelegenheiten des lokalen Personals zuständigen Monsieur Kambale führe ich hin und wieder ein interessantes Gespräch – soweit es mein sprachliches Vermögen zulässt. Zuletzt drehte es sich aus aktuellem Anlass um die Todesstrafe. In der Stadt waren Demos von aufgebrachten Frauen, die forderten, dass der gefasste Mörder einer der ihren gefälligst umgehend auch die Radieschen von unten zu sehen habe. Diese Meinung teilte Chanty, Kambale aber nicht. Er sagte, es liege in der Hand Gottes über Leben und Tod zu entscheiden. Da lagen wir insofern ähnlich als ich denke, man sollte sich durch die Verhängung und Ausführung der Todesstrafe nicht auf eine Stufe stellen mit dem Täter. Viel interessanter aber, wenn auch grausam, waren die Umstände der Ermordung, die so noch gar nicht nachvollziehbar sind… man steigt nicht recht dahinter oder will mir nicht alles beleuchten. Am helllichten Tag wurde ein Haus gestürmt, Schmuck sollte rausgerückt werden, Geld und andere wertvolle Dinge, was man auch tat. Die ganze Familie war zu Hause, Mann, Frau und Baby. Nachdem alles eingesackt war, richteten die Diebe die Waffe auf die Frau und ihr Mann soll gesagt haben, wenn denn einer dran glauben müsse, so solle man doch ihn erschießen, damit sich danach noch jemand um das Baby kümmern könne. Das Baby schrie wie am Spieß, so dass der Mutter befohlen wurde, sie solle es beruhigen, stillen, was sie auch tat. Als es ruhig war wurde sie geheißen es zur Seite zu legen, was sie ebenfalls tat – und dann wurde sie erschossen. Der Mann nicht. Es heißt, es seien Bekannte des Mannes gewesen… da sie auch bereits gefasst sind, liegt das vielleicht nicht so fern. Nur – was soll das alles? Man sagte mir, in Goma passierten viele Dinge wegen Eifersüchteleien. Ich fragte nach, ob es sich dabei um romantische Eifersüchte handelt oder rein materielle – darauf wurde ausweichend geantwortet. Wahrscheinlich war es ein vertrackter Mix aus allem möglichen…

Und nun wieder auf in den täglichen Wahnsinn!

Auge in Auge mit der Verwandschaft

Wie mir zu Ohren kam, hat das Osterfest in Deutschland eher an Weihnachten erinnert, so in Sachen Schneefall und Temperaturen. Also kann das mit dem Klimawandel vielleicht doch noch nicht so weit her sein, denn erst kürzlich las ich eine uralte Bauernregel, die sinngemäß so etwa lautete: wenn es an Weihnachten grün ist, wird Ostern weiß. Traf also wohl zu?

Das Osterfest in Butembo war ein festliches in großer Runde. Seit Mittwoch war ich schon in Butembo und dort bei den Kollegen „Chez Rebicky“ gemütlich in einem gerade eingerichteten Gästezimmer untergebracht. Für die Feiertage, die hier nicht zwingend solche sind, hatte sich viel Besuch angesagt – es war Full House; neben mir noch einige Kollegen und andere Bekannte aus Bunia, dem nördlichsten unserer drei Standorte im Ostkongo… alles in allem 8 Leute. Ostersonntag war zum organisationenübergreifenden Brunch geladen worden, für den nicht nur Ostereier gefärbt wurden. Unser Buffet hatte durchaus was festliches.


Brunch am Ostersonntag
Easter Brunch

Dass der Gorilla zum Centerpiece wurde und nicht etwa ein Osterhase, hatte zwei Gründe. Erstens sind die Kunsthandwerker der Region weder traditionell noch aufgrund etwaiger moderner Nachfrage auf die Produktion niedlicher Häschen eingerichtet: hier sind Löwen, Elefanten und eben Gorillas angesagt. Der zweite Grund war der, dass es ein besonderes Überraschungsei seitens der Gastgeberin gab: einen anderthalbtägigen „Ausflug“ zu den Gorillas im Virunga Nationalpark, dessen erfolgreichen Abschluss wir mit der Gorillafigur nochmal besonders gewürdigt haben. Jede weitere Würdigung meinerseits gestaltete sich äußerst schwierig, da sich der „Besuch“ bei unseren Vorfahren als Gewaltmarsch herausstellte. Die Auswirkungen auf meinen Körper sind in etwa mit denen zu vergleichen, die mich nach dem (Kort)Vasa-Lauf 1999 ereilt haben… zwei Zeugen können davon berichten. Aber fangen wir von vorne an.

Für diesen Besuch bei den Gorillas war eine kleine Ecke des Virunga Nationalparks gewählt worden, die in der Nähe unserer Projektgebiete liegt, von Butembo über Kyondo nach Tshiarimbi – Orte, die auf dem Kartenausschnitt unten nicht erscheinen. Aber man finde Ishango am Westufer des Edward-Sees und bewege sich weiter Richtung Westen auf den Gipfel von 3095m zu… um den haben wir uns rumbewegt.


(Source: ReiseKnow-How Karte Kongo 1:2.000.000 (2007) – Maßstab durch Scan mit Sicherheit verzerrt)

Die Planung war wie folgt: am Nachmittag des ersten Tages anreisen. Mit dem Auto bis zum Parkeingang auf 2200m: wir waren auf dem Weg, uns die berühmten Berggorillas anzusehen und mir war vorher bewusst, dass das allein wegen der Höhe, die ich schlecht vertrage und noch schlechter überwinden kann, nicht einfach werden würde. Österreich-Urlaube sind mir in traumatischer Erinnerung geblieben und ich kann mein Einverständnis zu dieser Unternehmung nur damit erklären, dass der Besuch einer 6-köpfigen Gorilla-Familie einen ungleich größeren Reiz ausübt als ein Glas Kräuterlimo und ein Kaiserschmarrn in einer Almhütte im Gasteiner Tal.

Am Parkeingang entrichteten wir die Eintrittsgebühr: 150 USD, die den 7 Tage geltenden Zutritt zum Park erlauben, in dem es neben Gorillas auch noch viel anderes zu sehen gibt: Elefanten, drei Sorten Antilopen, Krokodile, Nilpferde und vieles mehr. Und das ziemlich weit ab von allem Massentourismus – dafür in symphatischer Begleitung eines Vertreters der kongolesischen Armee mit Kalaschnikow. Von dort ging es noch am gleichen Tag weiter auf 2700m zum Basislager, wo wir die Nacht verbringen sollten. Diese knapp zwei Stunden Weg haben mich schon übermenschliche Anstrengungen gekostet und ich sah aus wie frisch geduscht, als ich ankam, eigentlich immer weit hinter der Truppe her, aber in Begleitung des Italieners Sergio, der ein außerordentliches botanisches Interesse entwickelte und jeden Bambusstamm einzeln fotografierte, damit ich nicht alleine vor mich hindamfen musste. Er erzählte außerdem, dass er aus der schönsten Stadt Italiens stamme, der südlichsten an der „Ferse“ des Stiefels, und wusste nicht, was er anrichtete, als er erklärte warum es die schönste Stadt sei: es gebe dort vier verschiedene Sorten Sand! Nichts wie hin!!

Sorge um mich breitete sich schnell aus, sah ich doch wie gewohnt bei sportlicher Aktivität binnen weniger Minuten aus als stünde ich kurz vor dem Herzinfarkt. Zu diesem Zeitpunkt war meine Sauerstoffschuld schon so hoch, dass ich eh kein Französisch mehr hinbekam und selbst auf Englisch nur noch gedröseltes von mir gab. Anstatt aufzuklären, dass ich anämisch („anemic“) bin, beharrte ich darauf, ich sei „anorexic“ – magersüchtig 🙂 Das versammelte Gelächter später beim Abendessen, als wir aus gegebenem Anlass darauf zurückkamen, war langanhaltend und Victoria, die Amerikanerin in der Truppe, versicherte mir, sie sei ehrlich froh zu wissen, dass ich nicht in dem Sinne krank sei! Die von uns mitgbrachten Nahrungsmittel wurden in stundenlanger Arbeit zubereitet und noch bevor das Essen auf dem Tisch stand, fragte der anwesende Armeechef, ob wir denn nicht die einen oder anderen Alkoholika dabei hätten. Hatten wir, wiesen aber darauf hin, dass es wohl doch noch ein bisschen zu früh sei dafür. Nach Anbruch der Dunkelheit und im Scheine des Bambus-Lagerfeuers packten wir unseren Whiskey aus, der in großer Runde und zum Gesang kongolesischer Armeelieder recht schnell ein Ende fand. Wir aber ebenfalls, denn schließlich sollte es am kommenden Morgen um 6:30 Uhr losgehen. Die Gorillafamilie sei nämlich gewandert und leider nicht mehr wie meist nur anderthalb Stunden entfernt, sondern drei. Und ob wir denn nicht doch lieber nur die kleine sehen wollten, eine dreiköpfige, die viel näher logierte. Aber wir waren beharrlich – hinterher wurde uns gesagt, dass die Parkranger und alle drumherum nicht davon ausgegangen waren, dass wir es schaffen würden.

Die Gruppe vor dem Start – teilweise kopflos da dem „Chef“ die Füße wichtiger waren… im Nachhinein gar kein so abwegiger Gedanke
The group before setting off – partly beheaded as the boss decided that feet were more important… not such a bad thought after all

Es begann ganz einfach in mehr oder weniger ebenem Terrain, wenn auch sumpfig und sehr matschig. Abgesehen von den mit langen Flechten behangenen Bäumen und übermannsgroßen roten Blumen hätte man sich, da der Blick ja meist auf den Boden gerichtet war, auch im Hohen Venn fühlen können – das etwas größenwahnsinnige Sternmoos erinnerte an die Austattung einer Eifler Krippe. Und zu bedenken ist ja auch, dass man bei dieser afrikanischen Landschaft nicht die Serengeti mit weiten, heißen Savannen im Kopf haben sollte: Bambuswald bei vielleicht 15 Grad und Nebelschwaden, was dem ganzen einen deutlich märchenhaften Charakter verleiht. Und Berge, bergauf, bergab. Dass wir denselben Bach sieben mal in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden queren mussten, war nicht wirklich nervig 😉

Bachüberquerungen
Crossing the stream

Aus Spaß wurde Ernst: ein langanhaltender Anstieg in nicht einfacher Umgebung: überall Wurzeln, sowas wie Brombeerbüsche (einige behaupten, auch Brombeeren gesehen zu haben), riesige Büsche, die aussahen wie Brennesseln aber nicht brannten, Übergang in Laubwald. Ich hing bald zurück und Jonathan, der kongolesische Armeeangehörige unseres Vertrauens, blieb immer einen Schritt hinter mir, während die anderen mit den Führern vorangingen. Nein, so wirklich freiwillig sei er nicht in der Armee; eigentlich sei er Lehrer in Goma gewesen, aber die Umstände hätten ihm keine Wahl gelassen und mit einem verlegenen Blick in den Wald sagte er, er würde eigentlich lieber wieder Lehrer sein. Als wir noch Empfang hatten, rief seine Mutter an, um zu hören, ob alles klar sei, denn ihr gefiele sein neuer Job auch nicht so besonders, die Patroullien im Park, auf der Jagd nach Wilderern und bis vor kurzem auch Mai-Mai Milizen, sie würde sich viele Sorgen machen. Aber sie seien mit 11 Kindern zuhause, der Vater seit 1995 tot – und die Mutter ist heute 48, jetzt fangt mal an zu rechnen… Der junge Mann hat jedenfalls eine Engelsgeduld mit mir und meiner Kurzatmigkeit bewiesen und nicht verstanden, dass ich in der Ebene nach einem Anstieg nach kurzer Pause in meinem üblichen strammen Gang verfallen konnte, als sei nichts gewesen. „Oben“ angekommen, vielleicht knapp unter 3000m, hatte sich der Nebel gelichtet und wir hatten einen atemberaubenden Blick über den Park, die Ebene, „le Graben“, hin zum Edward-See und auf Ishango – siehe Karte.

Blick auf den Virunga Nationalpark und den Edward-See
View onto Virunga National Park and Lake Edward

Von da an ging es abwärts… was mich aber auch nicht wirklich erfreute, denn wie schon Till Eulenspiegel feststellte, muss man ja jeden Berg den man runter geht, früher oder später auch wieder hochsteigen. Das versuchte ich aber zu verdrängen. Irgendwann erreichten wir eine Stelle, wo uns die Park Ranger sagten „Tja, gestern waren die Gorillas noch hier, aber sie sind wohl weiter gezogen…“ Ich kam nicht umhin mich zu fragen, wer in dieser Umgebung freiwillig eine Wohnortverlagerung in Erwägung ziehen würde. Jonathan erklärte, dass es länger nicht mehr ordentlich geregnet habe (bis auf die letzte Nacht, was für den formidablen Matsch verantwortlich war) und dass deswegen der Bambus keine frischen Sprossen habe, die die Gorillas am liebsten essen – deswegen hatten sie sich eh schon in den Laubwald zurückgezogen und nun eben noch weiter. Eben: weiter. Und so ereilte uns der Hammer, was wir den „Hike from Hell“ tauften, den Höllentrip. Ein Abstieg, den wir über schätzungsweise 200-300 Höhenmeter (es kam mir vor wie 2 km, aber das kann schlecht sein…) bei einem Gefälle von 45 bis 90 Grad größtenteils auf allen Vieren bewältigt haben und einige unangenehme und plötzliche Zusammentreffen mit dem Mutterboden und dem Gestein erleben durften. Ob meine Jeans und die Goretex-Jacke jemals wieder ohne Braunschleier zu tragen sein werden, wage ich zu bezweifeln. 10 Höhenmeter in 30 Schritten überwinden – wenn man die am Stück schafft. Dafür hätte ich mir den Spruch aus dem letzten Eintrag aufheben sollen: „Macht ihr Bergheinis das eigentlich öfters?“ – „Jeden gottverdammten Tag!“… denn das ist tatsächlich so: dieses Stück ist Teil Jonathans täglicher Route…

Dann: Spuren der Gorillas! Wer hätte jemals gedacht, dass man beim Anblick frischer Gorilla-Scheiße ekstatisch werden könnte… die sieht übrigens ein bisschen aus wie helle, leicht geplättete Pferdeäpfel, falls es jemanden interessiert. Fast alle Leiden waren vergessen und wir waren voller Spannung und plötzlich hieß es: Silberrücken in Sicht!! Aber wo???? Deutlich sichtbares Geraschel in den dann doch Bambusbäumen etwa 20 Meter vor uns gab uns den Tipp. Da oben sollte er sitzen, aber man bekam nicht soviel zu sehen, wildes Geraschel. Dann weiteres wildes Geraschel in den Baumkronen nebendran… da war der Rest zu vermuten. Diese schweren „Geschosse“ auf den dünnen Bambusdingern? Aber so musste es wohl sein, denn der Big Boss begann den Abstieg.

Der Silberrücken
The silver back

Wie er da so scheinbar gelangweilt in den Hang gelehnt saß, hatte er was von Marlon Brando, fand ich. Die Arme verschränkt kratzte er sich hin und wieder mit einem Finger am Kopf und checkte die Lage – ob wir wohl eine Gefahr für seinen Harem darstellen könnten? Aus dem Dickicht der Bambuskronen kam Geschrei, wahrscheinlich von den beiden halbstarken Damen, die zur Gruppe gehören, was den Chef dann auch veranlasste, sich zu voller Größe zu erheben und seine Macht zur Schau zu stellen – gebleckte Zähne und im wahrsten Sinne des Wortes tierisches Gebrüll. Und wir standen irgendwas unter 10 Meter daneben und waren instruiert, einfach ruhig stehen zu bleiben (vergleiche auch „Bär“ in „Mörderischer Vorsprung“…). Ich weiß nicht, wie sich Faszination noch steigern lässt. Dann zeigte sich in den Baumkronen auch noch Frau Chef mit dem anderthalb Jahre alten Nachwuchs – auch ohne den Gedanken an anstehende Strapazen wollte ich eigentlich nur noch sitzen bleiben und die Nacht mit den Herrschaften verbringen.


Mama Gorilla und anderhalbjähriges Baby, darunter ein „Teenager“
Gorilla Mom and her one and a half year old, a „teenager“ below

Aber das war natürlich nicht möglich… ein laaaaaaanger Rückweg stand uns noch bevor. Und da der Big Boss sich langsam auf den Weg weiter hangabwärts machte, wollte der Rest gerne folgen, traute sich aber nicht wegen uns, so dass das Geschrei immer größer wurde und wir als weitere Maßnahme in den zweifelhaften Genuss von Gorilla-Exkrementen von oben kamen, was dann weniger Anlass zur Ekstase gab.

Belassen wir die Beschreibung des Rückwegs damit, dass es alptraumhaft war und ich danach durchaus in der Lage gewesen wäre, jeden, der mich von meiner Digitalkamera mit den Fotos hätte trennen wollen, kaltblütig und ohne mit der Wimper zu zucken mit meinem frisch geschlagenen Bambus-Wanderstab zu pfählen. Eins ist sicher: Massentourismus stellt für diese Gorillas keine Gefahr dar…

Im Basislager gab es dann zum dritten Mal in weniger als 24 Stunden Reis mit Rindfleisch und Sauce, was eilig runtergeschlungen werden musste, da uns ja noch der Abstieg zum Parkeingang und die Heimfahrt bevorstand, wo wir dann auch ankamen:

Die Gruppe zurück am Parkeingang – kurz vor dem Zusammenbruch
The group back the park entrance – ready to crash

Was für ein Trip – es ist nun Mittwochmorgen danach und ich habe immer noch Muskelkater, unglaublich. Ostern 2008 war wohl DAS Ostern, dass mir am besten in Erinnerung bleiben wird 🙂
Auf bald!

“If it’s yellow, let it mellow…

… if it’s brown, flush it down!” Das Motto bei zahlreichen Aufenthalten auf der Insel meiner amerikanischen Gasteltern, auf die jeder Tropfen Wasser im Schweiße unseres Angesichts geschleppt werden musste, kam für mich in Goma wieder zur Anwendung: „Wenn’s gelb ist, lass es reifen, wenn’s braun ist, spül es weg!“ Ich sage dazu nur: es geht um die Toilette. Und: mir wurde das Wasser abgedreht. Schon seit ich angekommen war, liefen Mengen kostbaren Trinkwassers aus einem Leck ein paar Meter oberhalb. Die quasi „auf Putz“ liegende Wasserleitung (ein Rohr AUF der Straße) war von einem LKW gerammt worden. Und eines Abends, als ich heimkam, jubilierte ich schon, dass es repariert sei, denn die Straße war trocken. Das war aber leider deswegen so, weil die „Stadtwerke“ einfach den Hahn abgedreht haben. Nun sitze ich hier mit nicht mehr 2 Kubikmetern in Tanks und weiß nicht, wie lange die halten sollen… Am Spülen zu sparen hat auch keinen Sinn, denn in wenigen Minuten kommen die Ameisen und wollen den Job erledigen.

Der Samstag war der Tag, an dem meine Stimme nach 48 Stunden Gekrächze vollständig genesen war, wie sich um 7:50 Uhr herausstellte, als mich Said von der Baustelle anrief und ich sprechen konnte. Ich hätte diese Erkenntnis allerdings gerne ein, zwei Stunden nach hinten verschoben. Dafür kam die Erkenntnis, dass es damit nicht weit her war, umso schneller. Mit meinen „Reise-Boxen“ zu 120 Watt habe ich mich im verwaisten Büro eingerichtet und das Power-Buchen begonnen, mit der Unterstützung von Rod Stewart, dem ich nach zwei, drei mitgesungenen Liedern rein stimmmäßig in nichts mehr nachstand und die „waltzende“ Mathilda nur noch mitbrummen konnte. So oder so: Donald, mit dem ich noch einiges in Sachen Baufahrzeugersatzteile zu besprechen hatte, fand die neuen Sitten im samstäglichen Büro erschütternd…

Dieses Mal bin ich ohne Koch (in einem anderen Haus) untergebracht, was ich bislang auf jeden Fall besser finde. Schwierig wird es nur manchmal, weil die Dinge hier dann doch immer mal wieder anders sind als gewohnt. In einem Anflug von Betriebsamkeit hatte ich am Freitag meinen sich nun langweilenden Ex-Koch gebeten, für mich einkaufen zu gehen, u.a. Rinderfilet, das es freitags frisch gibt… Man kann nur ganze Filetstücke kaufen, das zu 5 USD. Was soll ich mit dem Riesending, aber gut. Ich bat ihn, es im Büro in den Kühlschrank zu legen, damit ich es abends dann mitnehmen könnte. Als ich zuhause auspackte (auch Ananas, Avocado und anderes) entfuhr mir ein Schrei des Entsetzens: es war gefroren! Er hatte es wohl gut gemeint… Also gab es Ananas zum Abendessen, eine ganze – und ich werde nie verstehen, warum ein Mensch die noch würde zuckern wollen. Das Intermezzo mit dem Fleisch war aber noch nicht ausgestanden, denn wie sich zeigen sollte, bin ich ja doch ein Kind der Konsumentengeneration. Donald eröffnete mir abends so nebenbei, dass das ja hier gar nicht richtig abgehangen sei. „Aha…“ konnte ich dazu nur sagen und ließ mir erklären, dass man einen ähnlichen Effekt damit erreicht, die zugeschnittenen Stücke in literweise Öl zwei, drei Tage luftdicht einzulagern im Kühlschrank. Das habe ich wohlwollend zur Kenntnis genommen und nach auftauen umgesetzt, nur war meine Wochenendessensplanung dahin… Aber vergiftet habe ich mich damit auch nicht!

Des Abends bin ich nun dabei, die ausgedehnte Videosammlung meiner Vorgängerin zu sichten und entdecke wahre Schätze, so dass ich sonntags noch nicht mal auf den TATORT verzichten muss, auch wenn der dann älteren Modells ist  Sie ist außerdem die einzige mir bekannte Person, die die „Stadtgeschichten“ von Maupin gelesen hat (ohne von mir ständig dazu gedrängt zu werden) UND den Film „Mörderischer Vorsprung“ kennt und gut findet, so dass wir uns direkt gegenseitig zuriefen „Der ELCH!!!“ Den habe ich dann auch in der Sammlung gefunden und gleich geguckt und quasi mitgesprochen („Macht ihr Bergheinis das eigentlich öfters?“ – „Jeden gottverdammten Tag!“). Den brauche ich unbedingt noch auf DVD, auf die USA-Liste für Juni/Juli. Um das Interesse an diesem Film mit Sidney Poitier und Tom Berenger sowie Kirsty Alley noch weiter zu wecken und in der Tradition meiner Filmkritiken zu bleiben, noch eine Kurzkritik: ein äußerst spannender Thriller mit atemberaubenden Action Elementen, der sich dabei aber selbst nicht zu ernst nimmt und viele komische Momente hat (siehe „Elch“, „Bär“, „Nager“ u.a.).

Nach zwei hier mehr oder weniger durchgearbeiteten Wochen werde ich mich am morgigen Mittwoch nach Butembo begeben (bis Ostermontag, der im Kongo, genau wie der Karfreitag, nicht als Feiertag begangen wird), wo es auch noch so einiges zu besprechen gibt, aber vielleicht auch mal ein Wochenende im Zeichen sozialen Lebens ansteht. So stelle ich diesen Beitrag doch gleich noch ein… Und wünsche Frohe Ostern! Bis nächste Woche dann!

Sekt in de City?

So, da bin ich wieder, nach einer nicht unspannenden Anreise letztlich doch noch in Goma angekommen. Alles fing viel versprechend an und wenn alles funktioniert, können mich alltägliche Dinge sehr faszinieren: um 19:11 in Siegburg in den pünktlichen ICE gestiegen, um 19:51 am Frankfurter Flughafen wieder ausgestiegen. Um 20:12 Uhr war ich bereits eingecheckt und musste mit 50,5 kg dank meines charmanten Lächelns kein Übergepäck bezahlen (Limit 45 kg). Man merkte auch kaum, dass es (das Lächeln) mir nach und nach festfror in dem verzweifelten Versuch, mir nicht anmerken zu lassen, dass der Handgepäcksrucksack weitere geschätzte 11 Kilo hatte und ich in ständiger Gefahr war, nach hinten umzukippen. Um 20:35 hielt ich die Ausfuhrbescheinigung für den Laptop in Händen und konnte mir die Zeit am Frankfurter Flughafen vertreiben… Auch in Kigali kam ich pünktlich um 14:05 des Folgetages an. Der Zollbeamte war gut drauf und hat mich schnell abgefertigt – allerdings nicht ohne mich darauf hinzuweisen, dass ich doch beim nächsten Mal Freunde und Familie mitbringen solle. „Nach Ruanda oder in den Kongo?“ habe ich etwas verwirrt gefragt. „Egal,“ kam die Antwort, „hier ist es überall schön!“ Recht hat er. Um 14:45 Uhr war mein Schwergepäck im Auto und los ging’s zur Grenze… man fährt etwa drei Stunden und sie macht um 18 Uhr dicht.

Ich bin mir nicht sicher, ob die Schilder vorher nicht da waren, ob man halt einfach immer wieder neue Dinge wahrnimmt, wenn man eine Strecke zum wiederholten Mal fährt – oder ob ich doch noch den vor wenigen Wochen auf arte gesehenen Film über den Völkermord in Ruanda 1994 „Als das Morden begann“ im Hinterkopf hatte und es mir deswegen auffiel. Warum auch immer, alle 50m schien ein Schild in Landessprache zu stehen, auf dem das einzig für mich deutbare Wort „jenoside“ war, was ich als Abkupferung des französischen „génocide“ = Genozid/Völkermord interpretiert habe. Als ich den Film gesehen habe, hatte ich mich noch gefragt, inwieweit da wohl Aufarbeitungen über die im Film dargestellten öffentlichen „Tribunale“ stattfinden oder ob man eher darüber schweigt.

Was den Zeitplan anging, schien sich alles gegen uns verschworen zu haben – an der Strecke waren mindestens 20 Polizeikontrollen und eine hielt uns dann auch an, obwohl wir sie früh gesichtet und auf unter 50 km/h abgebremst hatten. Aber diese dicken Landcruiser hört man schon von weitem durch die Gegend röhren. Da kamen wir mit einer Verwarnung davon… nur um dann in eine der vielen Großbaustellen der Strabag an der Strecke zu geraten. Um 17 Uhr. Ellenlanger Rückstau, an einer Stelle, wo wir noch etwa 45 Minuten bis zur Grenze gehabt hätten. In der Ferne der in aller Gemütsruhe vor sich hinarbeitende Bagger… „Das ist Matteos Baustelle,“ sagte der Fahrer – ein ehemaliger Mitarbeiter von uns, der nun wieder in der freien Wirtschaft tätig ist. „Ruf ihn doch an und sag ihm, dass wir durch müssen,“ sage ich eher als Scherz und er tut’s tatsächlich, aber leider war Matteos Handy abgestellt. So kam es dann, dass wir den kongolesischen Grenzposten erst um 18:02 erreichten. Aus Ruanda raus, aber noch nicht im Kongo drin. Uns selbst ließ man noch rüber, aber das Auto nicht mehr. Die 50,5 kg Gepäck plus Handgepäck und das im deutschen Laden in Kigali in Massen gekaufte Brot durften wir auch mitnehmen. So saßen wir da und mussten abgeholt werden. Das dauerte über eine Stunde, so dass es die Zöllner zum Anlass nahmen, sich von mir jedes mitgeführte Stück einzeln zeigen und erklären zu lassen. Es war eine halbe Filiale der Kette mit den kleinen Preisen…

Irgendwann kamen wir dann doch an und haben seitdem gut durchgezogen, um die Übergabe meiner Kollegin inkl. eines Monatsabschlusses, einer Abrechnung und noch so manch anderen netten Dingen dann letztendlich ohne last-minute Nervenzusammenbrüche vor der Abreise am 12.03. über die Bühne zu bringen.

Dieser Monatsabschluss hatte es in sich, denn es war an der Zeit, die Schulgebühren für 750 Ex-Kindersoldaten, denen im Rahmen eines unserer Projekte im Gebiet von Walikale und Lubutu die Grundschulbildung ermöglicht werden soll, einzubuchen. Jede einzeln. Aber auch das kann einen gewissen Reiz haben, wie ich bald feststellen konnte. Ich fing an, etwas mehr darauf zu achten, als ich auf einmal zwei Schüler namens François Ramazani abzurechnen hatte, gleiche Schule, offenbar gleicher Jahrgang. Da war ich ein bisschen skeptisch, ob das auch mit rechten Dingen zuginge und zog den lokalen Admin Kambale zu Rate. Die Unterschriften der Eltern waren verschieden und hinterher stellte sich dann auch raus, dass der eine doch zwei Klassen höher war. Aber so viele Ramazanis… insgesamt waren mir bestimmt 20 untergekommen, dann auch ein Ibrahim Bin Irgendwas, Saidi Omari, viele Alis und Masudas… das sah mir doch sehr nach einer muslimischen Enklave aus. Kambale bestätigte das: im Gebiet um Lubutu seien viele Nachfahren einer Gruppe muslimischer Sklaven ansässig, die dort auf dem Weg nach Kindu (siehe Karte im vorherigen Eintrag) „hängen geblieben“ seien. Andere wiederum heißen Dieu Merci (Gott [sei] Dank) und auch Menschen, die nach Wochentagen oder ähnlich benannt werden, findet man nicht nur bei Robinson Crusoe: eine Dimanche (Sonntag) war dabei und ein Janvier (Januar). Obwohl letzteres wohl auch der französischer Xavier sein könnte? Bei dem Sechstklässler Koloso Salimini fragte ich mich, ob der wohl eine sprichwörtlich schwere Geburt war und Elvis (Mwamba Kasonga) lebt auch noch. Selbst im Ostkongo hält das Englische Einzug, wie Colin Ndjakesemo zeigte und berühmte Persönlichkeiten werden überall zur Namensgebung herangezogen, mein Favorit: Lotemongoy Michel Platini. Nein, mir ist eigentlich nie langweilig.

Am 08. März war der internationale Tag der Frauen, aber wie immer wird mir das nur im Ausland bewusst und wenn sich dann diverse ehemalige Kollegen aus Afghanistan wieder melden um mir zu „Meinem Tag“ zu gratulieren… und ich immer blöd frage „Welcher Tag?“ Auch im Kongo ist das ein großer Akt, aber die Art, wie man ihn begeht, könnte von der afghanischen nicht weiter abweichen (langweilige Reden in steifer Atmosphäre): hier ist Karneval. Frauen finden sich in Gruppen zusammen und kleiden sich in extra für den Anlass angefertigten „Kostümen“ gleich, man marschiert durch die Stadt (und hört wohl ebenfalls mehr oder weniger interessante Kundgebungen), aber danach „nimmt man noch ein Glas“ – oder auch mehrere. Hier ist Stimmung angesagt und die Männer können sich auch ein zur Gruppe passendes Hemd schneidern lassen und dabei sein. Wir haben allerdings leider einen vollen Tag im Büro geschoben.


Admin-Office und angrenzende Örtlichkeiten in Goma. Kann man die Elefanten erkennen?

Den Vulkan habe ich schon wieder unglaublich leuchten sehen, aber die ersten Fotoversuche davon waren nicht von Erfolg gekrönt – einfach alles schwarz. Und man kann ihn aus Sicherheitsgründen leider weiterhin nicht besteigen. Sollte sich das bis Anfang Mai nicht ändern, werde ich wohl noch mal wiederkommen müssen 😉 Man hat mir erzählt, drei Flugzeuge seien bereits in den Krater gestürzt und in der Folge Teil der brodelnden Lava geworden, also ist ein Besichtigungsflug, würde er sich organisieren lassen, wohl auch keine Alternative… Aber ich rufe auf zur Einsendung von Ideen, wissenschaftlich oder nicht, warum die Flugzeuge wohl gerade da abgestürzt sein könnten – dazu kann man wunderbar die Kommentarfunktion unten benutzen 😉

„Wat macht ihr denn noch heute Abend?“ – „Och, wir gucken noch ein, zwei Folgen ‚Sex in the City’ bei Tee und Pastis.“ – „Sekt in de City? Geht ihr noch aus?“ So manchen Abend haben wir uns mit unzähligen Folgen von „Sex and the City“ vertrieben – was mir im Fernsehen ja mangels passenden Senders und Abwesenheit verwehrt blieb… was für ein Verlust! Andererseits ist es mir ein Rätsel, wie man sich von Woche zu Woche schleppen konnte, bis zur nächsten Folge.

So, nun auf zu einem Abend mit Geschichten, die mit „Da haben wir uns einen Container Bier aus Deutschland kommen lassen…“ beginnen oder so Sätze wie „Wat soll ich denn am Grand Canyon, kannste mir dat mal sagen? Ich habe den Queen Elisabeth Park gesehen!“ oder „Sehen wir dat doch mal so, einfach ‚mal schnell’ ne e-Mail schreiben. Ja. Wie lange würdest du denn brauchen, um ein LKW-Getriebe auseinander zunehmen?“ enthalten.

Bis bald!

“Barbara, ach Barbara – komm zu uns nach Afrika!”

…waren die Eröffnungsworte eines Briefs, den ich am vergangenen Donnerstag von meinem bekannten Missionar in Goma erhalten habe. Ich gehe davon aus, dass er noch nicht weiß, dass es schon am kommenden Montag, 3. März, so sein wird! Noch hoffe ich, dass ein aufregender Besuch beim Zahnarzt nicht noch aufregenderes nach sich zieht, verkürzte Darstellung:

„Also, das liegt so offen, der Nerv muss tot sein! Wir müssen das ohne Betäubung machen, damit wir es wissen. Sonst muss da noch eine Wurzelbehandlung dazu.“
„Äh, wie jetzt, Wurzelbehandlung? Das könnte ein Problem werden, weil ich in vier Tagen auf eine Dienstreise fahre.“
„So schlimm wird’s schon nicht werden, es geht ja wohl nicht nach Afrika!“
„Äh, doch. Kongo. Neun Wochen.“
(Schallendes Gelächter von Zahnarzt und Assistentin, ungläubiger Blick meinerseits.)
„Kongo! Das gibt’s nicht! Das sagen wir sonst immer so und dann antworten die Leute, ‚Nein, nein, ich muss zwei Tage nach Bad Neuenahr!‘ Dass Sie jetzt Kongo sagen…“

Naja, nach Lachen war mir nicht, zum ersten Mal eine Zahnarztaktion ohne Betäubung (ja, ich bin ein bekennender Schisser) und trotzdem ohne größere Schmerzen und dachte dann nur noch an diesen Satz zu den Aussichten des Patienten aus einem Film, vielleicht war es in Fackeln im Sturm, ein durch lange Kriegswirren gezeichneter Nordstaatler, dem gerade ohne Anästhesie in einem dreckigen Lazarett-Zelt beiden Beine amputiert wurden und der gnädigerweise bald in die Bewusstlosigkeit sank: „Wir müssen erst die Nacht abwarten.“ Die Nacht habe ich abgewartet und der Zahn blieb ruhig… ich hoffe also, dass sich über’s Wochenende nicht noch was ergibt.

Also, nun wird es wieder Kongo und wieder hauptsächlich Goma. Aber wohl auch Butembo für ein paar Tage, da gibt es ebenfalls einiges auf Vordermann zu bringen, nachdem wir die Kollegen dort nach dem Hin und Her mit Goma eigentlich sträflich vernachlässigt haben. Und hoffentlich auch Walikale und Lubutu, die Baustellen, wo ich ein Modul eines Buchhaltungsprogramms installieren und den lokalen Kollegen eine Art Training dazu zu geben möchte. Hoffentlich klappt das alles… Und da ich ja dann doch immer wieder gefragt werde, „Wo liegt das denn eigentlich?“ habe ich noch mal Google Earth besucht:

Der rote Pfeil zeigt die Richtung „der Straße“ an, die unsere Kollegen bauen, mehr oder weniger von Goma auf Kisangani zu (ganz oben links). Zieht man den Maßstab links unten zu Rate stellt man fest, dass es von Goma bis nach Lubutu, bis wohin die Baustelle sich in der Zwischenzeit im wahrsten Sinne des Wortes durchgeschlagen hat, knapp 300 km Luftlinie sind. Straßenkilometer sind es wohl etwa 400. Von Lubutu geht es dann aber nicht weiter Richtung Kisangani, sondern Richtung Süden auf Kindu zu, aber nur bis Punia (Kindu vieleicht in einem neuen Projekt). Gerade ist ENDLICH eine Kongo-Karte von Reise Know-how erschienen, wo man sich das alles mal im Detail ansehen kann – ich musste allerdings feststellen, dass dort Straßen als geteert und quasi autobahnähnlich definiert sind, die de facto entweder noch gar nicht (bzw. nicht mehr) existieren oder eben aus unseren Pisten bestehen.

Auch konnte ich mir nicht verkeifen, in Sachen Vulkane noch mal ein bisschen zu surfen und kann nun eine Idee davon vermittlen, warum der Himmel nachts über dem Vulkan immer orange leuchtet. Man sagt das immer so, da ist ein Lavasee, aber kann man es sich vorstellen? Jetzt vielleicht!


Night photo of the lava lake in Mount Nyiragongo, by Jack Lockwood, USGS 1994

Da muss man doch mal hin, oder? Ich finde das komplett faszinierend. Es geht auch nicht ohne Übernachtung „oben“, da man bis auf über 3000 Meter hochkraxeln muss… Aber erstmal sehen, wie überhaupt alles so läuft und wie sich die Sicherheitslage außerhalb Gomas entwickelt hat. Nun ja, noch ein paar Fotos und auch einen Erlebnisbericht von einem Besuch in Goma, einer Besteigung des Mt. Nyiragongo und einer Beobachtungstour bei den Gorillas hat ein Martin Rietze ins Netz gestellt (Januar 2007). Und zu guter letzt kann man auf YouTube den Vulkan in bewegten Bildern vor sich hinbrubbeln sehen.

Dann noch ein Wort zur Größe des Landes. Es gibt eine ganz gute Seite zur Demokratischen Republik Kongo, vereinfacht „Kongo Kinshasa“ genannt (im Gegensatz zur Republik Kongo, „Kongo Brazzaville“). So heißt sie denn auch, die Seite, Kongo-Kinshasa.de. Da hat ein fähiger Mensch die Umrisse der DR Kongo mal auf Europa projiziert, siehe unten. Goma ist ungefähr da, wo der weiße Punkt ist auf der roten Grenzlinie, quasi in der Tschechischen Republik. Kinshasa ist in der norwestlichsten Ecke Spaniens und Ebola bricht hier und da auf Sardinien und Korsika aus – also alles verdammt weit weg 🙂

„Ich bin dann mal weg“ bis Anfang Mai und freue mich auf viele Mails an bekannte Adresse!
Barbara

Wenig fröhliches aus dem Ostkongo

Entscheidungsschlacht gegen Nkunda

Die Regierungsarmee startet eine Großoffensive gegen Laurent Nkundas Tutsi-Rebellen im Ostkongo. Der regionale Krisengipfel mit den USA ist gescheitert. VON DOMINIC JOHNSON

Die Kämpfe sind laut Augenzeugen von beispielloser Heftigkeit. Kongolesische Zeitungen sprechen vom „totalen Krieg“. Seit Montag wird an allen Fronten der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu, wo sich Regierungsarmee und Rebellen des Tutsi-Generals Laurent Nkunda gegenüberstehen, erbittert gekämpft.

Kongos Armee hat über 20.000 Soldaten in die Schlacht mit 4.000 Rebellen geworfen und massiv schwere Artillerie ins Kampfgebiet gebracht. Gestern meldete sie die Eroberung der Rebellenbasis Mushake in den Masisi-Bergen westlich von Goma. „Die 82. Brigade steht in Mushake“, sagte Armeechef Dieudonné Kayembe in Goma. Am Wochenende hatten Nkundas Rebellen ihrerseits die Regierungsbasis Nyanzale nördlich von Goma erobert. Sie erbeuteten dabei acht Tonnen Munition.

Die Eskalation trifft vor allem die Zivilbevölkerung. Seit Wochenbeginn ist die gesamte humanitäre Hilfe in Nord-Kivu außerhalb Gomas und Umgebung eingestellt. Nach Angaben des UN-Welternährungsprogramms schneidet diese von der UN-Mission im Kongo (Monuc) verfügte Maßnahme 300.000 Flüchtlinge von jeglicher Versorgung ab. Nord-Kivu zählt 800.000 Kriegsvertriebene; 437.000 davon sind nach UN-Angaben dieses Jahr geflohen, mehr als in jedem anderen Konfliktgebiet der Welt. Nur 50.000 davon seien noch für die Hilfsorganisationen erreichbar.

Laut Informationen der taz hat die Monuc das UN-Personal in Goma angewiesen, sich auf die Evakuierung vorzubereiten. Dies wurde gestern dementiert – halbherzig. „Wir sind immer auf Evakuierung vorbereitet“, sagte Monuc-Sprecher Kemal Saiki. Ein UN-Mitarbeiter in Goma erklärt, man sei diese Woche neu an bestehende Bestimmungen erinnert worden. Nach internen UN-Sicherheitshinweisen, die der taz vorliegen, sollen alle UN-Mitarbeiter in Goma einen Notfallkoffer bereithalten, nachts Funkgeräte anlassen und schusssichere Westen griffbereit halten.

Kongos UN-Blauhelme unterstützen die Regierungsoffensive. Allein seit Dienstag hätten UN-Hubschrauber 3,4 Tonnen Munition an die Front geflogen und mindestens 40 Verwundete evakuiert, bestätigt Monuc-Sprecher Saiki. Direkt mitgekämpft hätten die derzeit 4.800 Blauhelmsoldaten in Nord-Kivu nicht – weil Kongos Armee das nicht verlangt habe. Aber „wir haben explizit gesagt, dass wir zur Unterstützung bereit sind“. Möglich sei ein Raketenbeschuss von Rebellenstellungen. UN-Truppen und Regierungsarmee teilen sich ein Feldhauptquartier im Ort Sake.

Offiziell begründet die Regierung ihren Krieg gegen Nkunda damit, der Rebell verweigere seine Eingliederung in die integrierte nationale Armee. Aber die 82. Brigade der Regierung, die als Eroberer Mushakes genannt worden ist, zählt auch nicht zur integrierten nationalen Armee. Zudem bestätigen unabhängige Beobachter, dass Kongos Armee mit ruandischen Hutu-Milizen zusammenarbeitet – damit begründet Nkunda seinen Krieg.

Die jüngste Eskalation kommt pünktlich zu einem Gipfel in Äthiopien, bei dem US-Außenministerin Condoleezza Rice gestern mit den Präsidenten Kongos, Ugandas, Ruandas und Burundis zusammentreffen wollte. Kongos Präsident Joseph Kabila kam aber nicht, und konkrete Ergebnisse gab es auch nicht. „Wir haben uns verpflichtet, weiterhin nach Lösungen zu suchen“, sagte Ruandas Präsident Paul Kagame.

Quelle: http://www.taz.de/1/politik/afrika/artikel/1/entscheidungsschlacht-gegen-nkunda/?src=AR&cHash=3df10fda69

Extrem

Der Countdown läuft; es sind weniger als zwei Wochen, bis ich wieder deutschen Boden unter den Füßen und endlich die Möglichkeit habe, meinen voll eingesetzten Weihnachtswahn auszuleben… und es ist noch einiges zu tun… vielleicht ist das das letzte Mal, dass ich mich aus Goma melde – wir werden sehen.

Das ZDF hat mich verlassen! Ich vermute, dass zum 31. Oktober das Abo des Kollegen ausgelaufen ist. Wie der Zufall es wollte hatte meine Mitbewohnerin in Bonn mir vor einiger Zeit mal die ersten beiden Staffeln „Prison Break“ auf die Festplatte gespielt, so dass ich nun trotz Fernsehausfall noch abendliche Zerstreuung finde. Aber ganz schön heftige. Und das auch noch mit chinesischen Untertiteln! Zusätzlich erschwert wird das ganze, weil wir nun so langsam wirklich in die Regenzeit zu kommen scheinen. Nachdem es mehrere Tage lang überhaupt nicht geregnet und sich immer weiter schwül aufgeheizt hatte, regnet es jetzt wirklich viel und stark, immer Gewitter. Und da auch mein Wohnhaus quasi ein Wellblechdach hat, ist das mit Fernsehen dann schwer, geht nur mit Kopfhörer, sonst versteht man überhaupt nichts.

Das sind die Problemchen, mit denen man als Expat in Goma zu kämpfen hat. Gestern kam ich mir so richtig dekadent vor. Im TRAMECO, einer Art Supermarkt mit Lebensmitteln für den dem europäischen Gaumen angepassten Geschmack, fand ich unglaublicherweise Danone Joghurts. Neben frischem Brot, das diesen Namen verdient, und Frischmilch ist das das am dritthäufigsten vermisste Produkt, wenn ich außerhalb Deutschlands weile. Haltbar bis zum 13.11., kein Preis drauf, was ja immer Anlass zu Vorsicht ist. Aber ach was, dachte ich, wenn der auch 3 Dollar kostet, den nehme ich jetzt mit, gleich zweimal. Lecker war er, keine Frage, aber als ich dann später auf der Quittung den Preis sah, musste ich mich doch setzen: 6 Dollar pro Stück. Ich hatte für 300g Joghurt 12 Dollar ausgegeben. Das ist mehr, als der Koch an zwei Tagen verdient – und der hat sieben Kinder. Ich denke nur immer, hoffentlich geht der da nicht mal rein, nur so aus Neugier, und guckt sich an, was die Sachen kosten, die bei mir im Kühlschrank oder im Regal stehen…

Ganz andere Probleme habe ich auf einem „Ausflug“ vergangene Woche gesehen und ich muss ehrlich sagen, die haben mich nachhaltig aus der Bahn geworfen. Wir hatten einen Besucher von der deutschen Botschaft in Kinshasa und nachmittags fragte mein Chef, ob ich nicht auch Interesse hätte, Richtung Sake raus zu fahren, soweit es die Sicherheitslage eben zulässt. Richtung Sake heißt Richtung Masisi Berge – dort, wo momentan Krieg herrscht, wo die reguläre kongolesische Armee mit logistischer Unterstützung der UN-Blauhelmmission MONUC den abtrünnigen General Nkunda bekämpft. Das ist eine sehr vereinfachte Darstellung von hochgradig verzwickten Beziehungsgeflechten und entsprechenden Versuchen grenzüberschreitender Einflussnahmen. Aber das ist ein anderes Thema, über das Interessierte in regelmäßigen, zurzeit wohl mindestens wöchentlichen Artikeln von Dominic Johnson in der taz mehr erfahren können. Auch online, http://www.taz.de, bspw. Vermittlung im Kongo oder Kongolesen wehren sich gegen den Krieg


General Laurent Nkunda

An dieser geteerten Straße aus Goma hinaus steppt der Bär. Da gibt es kleine Stände, wo Bananen, Kartoffeln u.ä. verkauft werden, dann welche für Telefonkarten oder Plastiklatschen – eben alles, was man so brauchen könnte. Und da sind unglaubliche Menschenmengen unterwegs, mehr als in Goma selbst. Das geht über Kilometer so weiter, bis die Bananenplantagen anfangen. Da laufen immer noch so viele Menschen rum – und plötzlich sieht man in den Plantagen notdürftig zusammen gebastelte Hüttchen aus Blättern der Bananenstauden und Plastikplanen, oft vom UNHCR, dem Flüchtlingskommissariat der UN. Überall Militärs. Straßensperren an den Seitenstraßen. Und dann sind es nicht mehr nur einzelne Hüttchen – und ich sage Hüttchen: geht man davon aus, dass eine kongolesische Familie sicher im Schnitt 5 oder 6 Köpfe hat, können die sich gemeinsam in einer solchen nur sitzend aufhalten. Dann sind es eben nicht mehr nur einzelne Hüttchen, sondern eine riesige Ansammlung davon, soweit das Auge reicht: das Flüchtlingscamp Mugunga. Ich kann’s nicht anders beschreiben als „und das in dem Dreck“ – der schwarze Boden, voller Pfützen, im ständigen Sturzregen, dafür keine Wasserversorgung, die was wert wäre, von Strom ganz zu schweigen… Du kannst die Cholera quasi rumlaufen sehen. Ich habe keine Ahnung, wie groß das Camp ist (und kurz darauf folgt ein zweites) – es gibt sicher wesentlich größere; ich erinnere mich an Luftbildaufnahmen eines ehemaligen Kollegen aus Darfur. Aber, und das ist jetzt als absoluter Laie gesprochen, ich stelle mir die Organisation einer halbwegs funktionierenden Infrastruktur aufgrund der natürlichen und kulturlandschaftlichen Gegebenheiten hier wesentlich schwieriger vor. Hier ist ja nirgendwo mal ein freier Platz – entweder genutzt für Bananenplantagen oder anderen Anbau, oder, aber das selten, einfach nur verwildert, und dann immer als Bodenbelag diese Lavabrocken. Und dann kommt die große Schranke, schwerst bewacht. Dahinter keine Menschenseele mehr zu sehen, aber du weißt genau, dass in den pittoresken Hügeln dahinter die Hölle losgebrochen ist. Die Zahl der Menschen, die es nicht bis auf die Goma’er Seite dieser Schranke geschafft haben und die sich irgendwo im Busch durchschlagen, wenn überhaupt, ist mir nicht bekannt, aber man weiß, dass es sehr viele sind. Und dass die Lage nun das dritte Mal in gut zehn Jahren derart eskaliert ist. Ich hörte von einem Logistiker einer anderen Hilfsorganisation, dass die Händler in Goma NIE mehr auf Lager haben, als für 5 Tage, auch wenn sie durch größere Einkäufe und damit verbundener Einlagerung wesentlich größere Gewinnmargen hätten. Aber das Risiko ist zu groß.

Nun, wie auch immer. Das alles war nur das Vorspiel dafür, was mich eigentlich aus der Bahn geworfen hat, auf dem Rückweg. Da haben wir einen anderen Weg genommen, ab dieser Hauptstraße, nicht geteert. Es waren höchstens 15 Minuten Fahrzeit in sehr langsamem Tempo und man erreichte das Villenviertel, inkl. der ehemaligen Mobutu-Residenz. Und da reden wir nicht von Joghurts für 6 Dollar, sondern von palastartigen Anwesen mit gepflegtem Golfrasen hinter hohen Mauern, auf denen der Abschluss mit razor wire nur selten durch die Ozeane an wunderbar pink blühenden Büschen sichtbar ist. (Ich kenne das deutsche Wort für razor wire leider nicht – es ist wie Stacheldraht, nur sind es Rasierklingen statt Stacheln). Dieser krasse Bruch auf nur wenigen Kilometern ist wirklich… nicht zu beschreiben.

Was die unterschiedliche Wahrnehmung von Risikoabsicherung zwischen dem durchschnittlichen Westeuropäer und dem leicht besser gestellten Kongolesen angeht, zeigte sich ebenfalls auf der schon im letzten Blog beschriebenen Party. Da erklärte ein Italiener seine Arbeit hier in Goma: er versucht sich am Aufbau einer öffentlichen Krankenversicherung und löste minutenlanges hysterisches Gelächter aller Anwesenden aus, die nur wissend nickend, als er dann seine Probleme weiter ausführte. Es ist untersucht worden, dass die Familien in der Zielgruppe durchschnittlich 50 USD im Monat für Arztbesuche und Medikamente ausgeben. Die Versicherung soll 20 Dollar im Monat kosten und immer, wenn er potenzielle Kunden anspricht und erklärt, dass man eben die 20 USD immer bezahlt und dann auch wesentlich höhere Kosten im Ernstfall gedeckt sind, erntet er nur Unverständnis; es ist kein attraktiver Deal. Wer weiß, was kommt und überhaupt.

Meine Deckung ist aufgeflogen… der geografische Quereinsteiger in der Finanzwelt. Mein Chef hier erfuhr es auch erst, als der Besucher der deutschen Botschaft fragte und mein lokaler Admin-Kollege hat mich zur Rede gestellt. Im Zusammenhang mit der „sachlich richtigen Zuordnung von Kosten“ war es nötig, das Haus, in dem ich momentan unterkomme, zu vermessen und somit sagen zu können, dass die Zimmer A und B für Zweck C genutzt werden und deswegen die Miet- und andere Kosten über Projekt D abgerechnet werden, während das bei den Zimmer E und F ganz anders aussieht. Da das Haus 290m² Wohnfläche hat, davon aber allein knapp 100 auf das Wohnzimmer entfallen, schien es uns angebracht, das vielleicht in einem Grundriss festzuhalten. Die ganze Messerei habe ich einen Abend gemacht und auch den Grundriss gezeichnet. Den habe ich morgens dann noch so klein kopiert, dass er auf eine DIN A4-Seite passte… und habe wohl eine Kopie, die noch nicht so ganz perfekt war, am Kopierer liegen lassen. Die fand der Admin und kam damit zu mir: „Madame Barbara, jetzt müssen wir mal Klartext reden: sind Sie Architekt? Oder Ingenieur? So einen Plan kann nicht jeder zeichnen.“ Tja, da flog ich dann auf als der Geograf, der eben deswegen mit diesen ganzen buchhalterischen Ausdrücken immer mal wieder Schwierigkeiten hat (auf Deutsch schon, auf Französisch bin ich auf verlorenem Posten)… aber ein Interesse an allem hat (außer Boxen, rhythmischer Sportgymnastik und Synchronschwimmen) … und Karten zeichnen hat man ja auch mal gelernt… und wie das alles kam… Afghanistan… „Das ist in Asien, oder?“

In diesem Sinne, shab ba kher, gute Nacht.
Viele Grüße
Barbara