… bis auf vorgestern – obwohl: 19 Flugzeugabstürze in Kongo seit Jahresbeginn?! Eigentlich war dieser Blog-Eintrag ja schon fertig, aber der heftige Flugzeugabsturz vorgestern kann irgendwie nicht unerwähnt bleiben – besonders da ich nun weiß, wie wir davon erfahren haben. Unser Fahrer Bola war nämlich gerade einkaufen, als er den Riesenkrach hörte, das Gebäude erschüttert wurde und die brennende Maschine quasi vor ihm auf der Straße lag… das war um Haaresbreite noch mal gut gegangen für ihn. Ich habe mal meine Fotoordner durchgeguckt, ob ich ein Foto der Absturzstelle vorher habe, um die Gegend etwas darzustellen, aber das habe ich nicht. Leider auch keine Luftaufnahme, da es ja direkt hinter der Startbahn runtergekommen ist, wovon man aus dem Flieger kein Foto machen kann. Das unten stehende zeigt die Startbahn, am linken (nördlichen) Ende durch den erkalteten Lavastrom von 2002 verkürzt. Das war erst eine Vermutung: dass diese (zu) kurze Startbahn vielleicht der Grund war, aber dann hätte die Maschine ja gar nicht erst abgehoben. Der rote Punkt ist die ungefähre Absturzstelle und unser Büro muss man sich direkt am See, aber sicher drei Kilometer oder mehr zur rechten, nach Westen vorstellen.
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Die Start-/Landebahn am Flughafen in Goma (verkürzt durch den Lavastrom von 2002)
The airfield at the Goma airport (shortened by the lava stream 2002)
Der Tag hatte schon chaotisch begonnen, als ich am späten Vormittag in ein babylonisches Sprachgewirr geriet und dann ab 14 Uhr nicht mehr in der Lage war, einen Satz vollständig in einer Sprache zu formulieren. Wir erwarten weiter die Anlieferung von zwei Containern mit Ersatzteilen und Reifen – ursprünglich aus Deutschland, angeliefert in Mombasa, Kenia, wo sie seit den Unruhen mehr oder weniger festsaßen. Jetzt sitzen sie seit einer Woche im Zoll zwischen Ruanda und Goma fest. Und an jenem schicksalhaften Tag tauchten die verzweifelten Spediteure auf, weil sie durch die lange Warterei, einer Panne auf der Strecke und Dieselklau unterwegs in Geldnöte geraten waren. Der „Director Operations“ (der Fahrer) war aus dem Sudan und sprach gewöhnungsbedürftiges Englisch. Der Chef des Unternehmens, der in der Zwischenzeit schon mit einer ersten Finanzspritze extra angereist war, war ein Kuwaiti, der ständig lautststark arabisch telefonierte, mit dem die Kommunikation allerdings bald auf Schwedisch verlief, ist er doch schwedischer Staatsbürger und wohnt eigentlich in Stockholm und vermisst seine beiden Kinder ganz furchtbar. Wer hätte jemals gedacht, dass mir schwedische Sprachkenntnisse im Umfeld der Entwicklungszusammenarbeit noch mal von Nutzen sein würden. Dazwischen das französische Alltagsgeschäft und Telefonate mit der ursprünglichen Spedition in Deutschland. Irgendwann hat mein Hirn nicht mehr mitgemacht und ich sprach Deutsch mit Kambale und verstand nicht, warum der mich so verständnislos ansah, wo doch einmal ein Satz grammatikalisch einwandfrei raus kam… Wie auch immer, die Container sind immer noch im Zoll und werden auch so bald nicht rauskommen, da aufgrund des Flugzeugunglücks erstmal keiner mehr arbeitet. Warum eigentlich?
Seit letzter Woche weiß ich, wann Hektik ausbricht. Keine Panik, aber echte, die Ereignisse sich überschlagen lassende Hektik. Wasserversorgung weiterhin besch….. Ich stehe morgens auf, dusche kurz, ziehe mich an und fange an den Tisch zu decken und bleibe mitten in der Bewegung stehen – was rauscht hier so??? Oh mein Gott, das ist die Klospülung vom Gästeklo!! Dass ich den Teller nicht habe fallen lassen, war echt alles. Sie lief und lief und lief – und ich hatte keine Ahnung, wann sie angefangen hatte zu laufen. Wie sich hinterher rausstellte, nachdem mein einer Kubikmeter fast weg war, wohl die ganze Nacht. (Obwohl ja eigentlich der Hahn zwischen Tank und Leitung hätte zu gewesen sein sollen – und wieso fängt sie überhaupt unaufgefordert an zu laufen???). Und ich kriegte sie nicht zum Stoppen. Der Hahn im Bad war fest gerostet, also Deckel beiseite geschoben und versucht zu stoppen ging auch nicht… ich musste den Deckel ganz abnehmen, die Schnur durchschneiden, die den Knopf obendrauf mit dem Ding im Spülkasten verbindet (heute wieder Wortfindungsstörungen hier) und habe den Pin von Hand runtergedrückt, lief aber weiter. Wahrscheinlich irgendwie kaputter als gedacht. Da ich aber auch den Wassernachlauf nicht stoppen konnte, habe ich in einer waghalsigen Konstruktion aus einem Schnürriemen und einer Dose feuchter Toilettentücher den Schwimmer auf einen Level heben können, an dem der Zulauf nun gestoppt ist. Der Nutzen von Klospülungen wird wirklich allgemein überbewertet – aber ich habe sie trotzdem reparieren lassen
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© CM
Freizeitbeschäftigungen im Kongo – der nächste Uri Geller
After hours in Congo – the next Uri Geller
Wie die Jungfrau zum Kinde kam ich in den Genuss eines Treffens mit dem Minister für Öffentliche Arbeiten, Infrastruktur, Grund und Boden, Transport und Kommunikation und Stadtfragen der Provinz. (Ich werde das Gefühl nicht los, der Mann könnte überfordert sein). Oder so war es zumindest angekündigt. Der Projektleiter im Urlaub war eigentlich klar, dass ich, wenn wegen nichts anderem, aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse da gar nicht auftauchen muss. Der Kollege Herr Kambale sollte die Dinge regeln, Allgemeinplätze von sich geben und repräsentativ wirken. Er und Madame Chanty waren jedoch der Ansicht, dass es besser sei, wenn ich als „peau blanche“, als Weißhaut, auch mitgehe – selbst wenn ich nach einem Satz Vorstellung das Wort an Kambale abtrete. Das Treffen war angesetzt für Mittwoch, 11 Uhr. Schon bald wurde es verschoben auf Donnerstag 11 Uhr. Gegen 10:30 Uhr kam ein Abgesandter und meinte, seine Exzellenz habe erst gegen 14 Uhr Zeit, wir würden dann einen Anruf bekommen. Der kam kurz nach 14 Uhr und in deutscher Eile brachen wir gleich auf. „Zehn Minuten, länger nimmt sich so ein Minister eh nicht Zeit,“ meinte Kambale und in Gedanken stimmte ich ihm zu. Empfang in einem schmucklosen Raum im Ministerium. Dafür ausgestattet mit den auch in Afghanistan beliebten Klotzmöbeln, die genau so konzipiert sind, dass man entweder die Füße nicht auf den Boden kriegt oder die Lehne mit dem Rücken nicht erreicht – es sei denn man fläzt sich so richtig dahin. Wahrscheinlich sollen die Teile einfach viel zu groß angelegte Räume füllen. Der Hausmeister bemühte sich mit einer kongolesischen Flagge als Tischtuch stundenlang um ein angemessenes Ambiente, Zupf hier, Zupf da, zurück, wieder hin… nur, damit es am Ende schiefer nicht hätte sein können. Auf Erfrischungen, zumindest in Form eines Tees, warteten wir vergeblich. Gewöhnt an diese Form afghanischer Gastfreundschaft ist mir das sehr negativ aufgefallen, muss ich sagen. Nicht, dass der afghanische Tee immer mundet, aber wenigstens klebt einem nach drei Stunden nicht die Zunge am Gaumen fest. Ja, so lange blieben wir nämlich. Nicht, dass wir so lange auf den Minister gewartet hätten, oh nein! Der kam gar nicht, sondern seine rechte Hand, ein „Maître“, was irgendwas juristisches sein muss… wenn ich nach der Moderation des Gesprächs gehe, ein Richter oder ein niederer Schlichter. Trotz allem war er des Öfteren mit seinem Chef in extrem wichtigen Telefonaten, „Ouiiiiiiiii, Excellence“, „d’accord, Excellence“. Derweil lief die Diskussion mehr oder weniger zwischen uns und dem Vertreter einer anderen Hilfsorganisation, die wir beide in dieser speziellen Region tätig zu sein versuchen, was sich aber aufgrund der Sicherheitslage als schwierig gestaltet. Deswegen war auch das Treffen anberaumt worden. Die andere Weißnase, Paul (vom Richter immer als Pool angeredet), sprach nur Englisch und hatte den Übersetzer dabei. Und nachdem ich mich bereits mit „Leider ist mein Französisch nicht so gut, deswegen gebe ich das Wort an Herrn Kambale“ vorgestellt hatte, hab ich irgendwann einfach nicht mehr den Mund halten können, und habe mich in die Übersetzung eingeschaltet, die einfach teilweise haarsträubend war. Und oh Wunder, ich konnte mich doch allen Ernstes halbwegs sinnvoll äußern, mit einigen Vokabeln von Kambale dazwischen geworfen. Ich war außerdem überrascht, welche Feinheiten er aus dem Englischen übersetzen konnte. Da muss man wirklich aufpassen
Alsbald lernte ich, dass, wenn der schlichtende Richter „einen kurzen Einwurf“ machen wollte, Geduld angesagt war. Einer Diskussion über Straßenbau, in der es um Befestigungsmauern, Drainagerohre, schweres Gerät und Regensperren ging, konnte ich problemlos folgen, aber als er dann zu einem mittlerweile gefürchteten „kleinen Einwurf“ anhob und das Thema von kompaktierten Erdstraßen auf Milchkühe brachte, habe ich den Faden verloren und konnte meine gesamte Konzentration nur noch darauf verwenden, das breite Grinsen zu unterdrücken.
Ich fand es außerdem sehr interessant, die Leute zu beobachten, außer mir alles Männer. Was ich jetzt sage, könnte wieder einige zum Aufschreien bringen, aber ich schicke voraus, dass ich solche Überlegungen auch in Europa anstelle und jede Wette eingehe, dass ich einen Schweden von einem Finnen unterscheiden kann, ohne sie reden zu hören. Oder einen Italiener von einem Spanier. Und Amis erkennt man IMMER. Also, hier in Goma ist eine ethnische Gruppe die der Nande. In Butembo bilden sie die Mehrheit. Und ich finde für mich, dass es gewisse Gesichtszüge gibt, die eine Zuordnung zu dieser Gruppe wahrscheinlich sein lassen. Ich kann noch nicht mal festmachen, woran ich das zu erkennen glaube, aber es stimmt sehr oft. In dieser Runde waren aber zwei Männer, die deutlich aus der Reihe fielen und, wie ich dachte, beide wiederum zu unterschiedlichen Ethnien gehören müssen. Auf der Heimfahrt habe ich dann zu Kambale gemeint, mir fehle ja das sprachliche Vermögen für diplomatische Umschreibungen, deswegen käme die Frage jetzt vielleicht etwas unsensibel rüber, aber der Herr, der so aggressiv gesprochen habe (und groß gewachsen war, mit einem längeren Gesicht und härteren Zügen), wo der denn wohl her sei. Nein, der sei nicht von hier, der sei aus Ruanda, ein Hutu. Direkt neben ihm saß ein kleinerer Mann (in einem NEONGELBEN Oberhemd), den ich wirklich schlecht beschreiben kann. Oder schon, aber ich weiß, ich höre mich dann endgültig an wie ein Vorkriegsmodell von Ethnologe: er hatte eine deutlich andere Schädelform. Nein, der sei auch nicht von hier, der käme aus Walikale und sei ein Munyanga. Alles sehr interessant, aber wir kamen zurück von den Milchkühen auf den Erdstraßenbau und die Diskussion begann erste Funken zu sprühen, als sich Maître Robert einschaltete und sagte, er wolle uns die Geschichte von Herrn Sowieso erzählen, der einmal mit seinen Aussagen zu einem bestimmten Thema alle Gesprächspartner verprellt habe. Aber dann sei Herr Nocheinsowieso eingeschritten und habe die Wogen geglättet, indem er sagte, niemand solle sich verletzt fühlen von den Aussagen. Die seien sehr direkt und hart, aber so sei Herr Sowieso eben, das sei seine Natur und niemand müsse sich persönlich angegriffen fühlen. Und so sei das eben wohl auch die Natur des Herrn zu seiner Rechten, kein Grund zur Aufregung. Ruhe kehrte ein und ich wartete vergeblich auf die Milchkuh.
Der Büro-Tag hatte aus fluglogistischen Gründen schon um 6 Uhr begonnen und endete erst gegen 17:30 Uhr… Für mein allabendliches Privatkino schien mir „Stirb langsam“ als Ausklang angemessen…
Su jon die Jäng, sacht man in der Eifel – such is life?
Bis bald
Barbara
P.S.: Es gibt aber auch schwedisch aussehende Spanier, die mich vollkommen vom Hocker hauen können: letzte Woche kam ein spanischer Vertreter einer benachbarten Organisation mit einer Bitte zu uns und mir ist fast die Kinnlade runtergefallen – er sah aus wie Mats Wilander, nur mediterran angehaucht (und in Echtzeit etwa 10 Jahre jünger). Die Bedeutung dieser Begegnung zu erklären würde zu weit führen – so ist dieser Abschnitt nur was für Leute, die mich seit etwa den Australian Open im Januar 1988 kennen 😉