Seit etwa 10 Tagen überschlagen sich die Ereignisse, viele von ihnen hochemotionale Angelegenheiten – und dann diese brennende Sommerhitze – so dass ich am gestrigen Samstag wie der sprichwörtliche Schluck Wasser in der Kurve hing. Dabei hatte ich schon ziemlich lange soviel zu erzählen. Am vergangenen Wochenende hatte ich das fantastische Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen Argentinien noch gar nicht richtig verdaut, als ich mich am Sonntag auf den Weg nach Westen machte, um mal wieder live einem sportlichen Großereignis beizuwohnen, in diesem Fall der zweiten Etappe der Tour de France, die über 201 km von Brüssel nach Spa führte.
„Seit wann interessierst du dich für Radsport?“ höre ich schon den einen oder anderen fragen, denn das habe ich nie und auch keinen wirklichen Plan von der Sache. Da kommt dann ein persönlicher Faktor ins Spiel, ein Fahrer des Team Milram, Johannes Fröhlinger – ein „Milramer“ also, wie sich ein kleiner Fan als Begriff einfallen ließ. Zu sagen, dass ich ihn kenne, wäre eine dicke Lüge – das geht ja schon viel länger zurück: seine Mutter war meine erste Englischlehrerin und seitdem besteht da ein Kontakt (Herrje! Wir haben Silberjubiläum dieses Jahr – darauf hätten wir doch anstoßen müssen!!). Lange Rede, kurzer Sinn: ein Besuch bei Freunden ließ sich bestens verbinden mit meiner Initiation bei der Tour de France!
Um 14 Uhr am Vortag der zweiten Etappe in der Westeifel angekommen, waren schon alle so gut wie abfahrbereit, denn man muss sich in den Fanmassen frühzeitig einen guten Campingplatz am Rande der Strecke sichern, wie ich lernte. Der Herr des Hauses hatte die Woche damit verbracht, Karten und Satellitenaufnahmen zu studieren um den idealen Camp- und Anfeuerungsplatz auszukundschaften. Das war alles nicht ganz zielführend, so dass auch noch ein Vorab-Besuch in den belgischen Wäldern durchgeführt worden war. So kamen wir zu einem idealen Campingplatz kurz vor der letzten Bergwertung am Col du Rosier, ca. 14 km vor dem Ende der Etappe. Die Idee war, dass man am Berg geschwindigkeitsmäßig wenigstens den Hauch einer Chance hat, mehr als verzerrte Farbkleckse wahrzunehmen . auch wenn es sich nur um einen Anstieg der 3. Kategorie handelte (ein Anstieg über 6.4 km mit 4% Steigung – bei der achten Etappe heute in den Alpen war der Schlussanstieg über 13,6km bei 6,1% Steigung einer der Kategorie 1).
Ganz ehrlich: schon das ganze Gerede von Anstiegen, noch mehr die Beobachtung, dass vor den Profi-Fahrern den ganzen Tag lang ununterbrochen Freizeitsportler unterschiedlichster Couleur sich an unserem Camp mal mehr, mal weniger vorbeiquälten lässt mich die Frage stellen: wofür das alles? Ich komme immer noch nicht den Mühlenberg hoch und habe auch gar nicht mehr den Ehrgeiz, das irgendwann zu schaffen. Umso beschämender dann, dass die Fahrer letztlich nur unwesentlich entzerrter als Farbkleckse „im Berg“ unterwegs waren und ich nur hoffen kann, dass ich dieses Tempo wenigstens hier entlang des Rheins gehen kann… Wenn ich fertig bin, kaufe ich mir noch ein Tacho. Ich schweife ab…
Der Lagerplatz war noch unbesetzt und nachdem wir uns installiert hatten, kundschafteten wir den Ort Cour aus, Endpunkt des Col de Rosier. Das kostete uns ca. 5 Minuten, denn mehr als 15 Häuser gab es dort nicht. Dafür war es mir vergönnt, zum ersten Mal überhaupt Schweine auf der Weide zusehen, geruhsam zwischen den Kühen vor sich hin trüffelsuchend. Oder so. Es war ein verdammt schöner Abend, sozusagen perfekt für mein erstes Zelten seit 15 Jahren. Zwar gab’s kein Lagerfeuer, dafür aber Fach- und andere Gespräche am Campingtisch und Glühwürmchen, UNMENGEN an Glühwürmchen. Oder auch: hammerviele. Die tanzten im Dämmerlicht über dem Farn. Wie und warum die Leuchtkäfer funktionieren ist eigentlich irrelevant, es ist einfach schön. Aber ich weiß es jetzt und habe mein Wissen hier gefunden. Unmengen Glühwürmchen, die für das Ausbleiben der Fanmassen entschädigten – wir blieben bis zum Schluss die einzigen, die bereits am Vortag angereist waren. Belgier sind eben keine Franzosen und/oder die Ardennen sind nicht die Alpen.
Dann kam der große Tag – an dem erst gegen 9:30 Uhr allgemein Leben ins Camp kam. In der Zwischenzeit waren deutlich mehr Fans angereist, Plakate der Sponsoren waren an der Strecke angebracht worden und die professionell installierten Niederländer auf der anderen Straßenseite hatten die erste Oranje-Konfetti-Rakete abgeschossen. Nach einem stärkenden Frühstück waren die wichtigsten Fragen: 1) Wo ist ein Fernseher, damit man die ersten 188km der Etappe hier und da mal verfolgen kann? Und 2) Wo stehen wir taktisch am besten damit a) Johannes die zwei großen Plakate sehen würde, er b) uns alle und besonders seine Mutter am Rande der Lungenleistungsfähigkeit würde schreien hören, c) man einen möglichst großen Teil der Strecke würde einsehen können und man d) auch eine ideale Fotoposition haben würde. Später gesellte sich als Kriterium noch hinzu e) die Möglichkeit zu haben, sich im Regen unterzustellen. Die ehemalige Schweine- und Kuhweide bot all das: im Berg eine S-Kurve überblickend, die Böschung runter barrierefreies Fotografieren, einen Baum als Regenschutz und eine Minigerade, so dass die Plakate relativ lange schon im Blick sein sollten. Biologische Tretminen unterschiedlichster Ausformung waren dabei zu umgehen. Gegen 13 Uhr war alles geklärt, laut Tour-Magazin war aber erst gegen 17 Uhr mit der Ankunft der Fahrer zu rechnen. Das zeigte mir, dass das Fanleben neben „hart und entbehrungsreich“ auch Potenzial für erholsame Stunden haben kann, die man bspw. lesend in der Sonne liegend verbringen könnte. Aber leider war sie kaum da, die Sonne, dafür der Regen…Und so lange musste man dann auch wieder nicht warten, denn für 15:27 Uhr war das Eintreffen der Werbekarawane angekündigt, eine Art schnell vorbeiziehender Karnevalszug, bei dem für rheinländische Verhältnisse allerdings wenig „Kamelle“ den Weg ins erfreute Publikum fanden. Aber es war ja auch kein Prinz dabei. Wie ich während der Übertragung heute vernahm, ist die Teilnahme an dieser seit den 1930er Jahren durchgeführten Karawane für die Hauptsponsoren Teil des „Pakets“ – alle anderen, die dabei sein wollen, ZAHLEN dafür schlappe 37.000 Euro. Der reine Wahnsinn.
Als sich dann im Dunst und durch die Wolken 5 Hubschrauber den Weg über die bewaldeten Hügel bahnten und zur Überraschung aller direkt hinter uns landeten (VIP 1 – 5) war klar: jetzt kann es nicht mehr lange dauern. Frag mich keiner nach Details – ich suchte nur nach den charakteristischen weiß-blauen Trikots nebst neongelben Helmen, um auch rechtzeitig zum ohrenbetäubenden Geschrei ansetzen zu können. Die ersten kamen in wie schon erwähnt erschreckend hoher Geschwindigkeit diesen Berg hoch (mit schon 188km in den Knochen), dazwischen immer wieder Teamautos – nur Kameras habe ich während der ganzen Aktion keine wahrgenommen. Egal, das Peloton, was passenderweise von dem französischen Wort pelote = Knäuel kommt, rauschte an uns vorbei, Johannes mittendrin, aber für uns gut sichtbar – und das war es dann, mehr oder weniger. Da kamen noch andere hinterher, aber die in Nationalflaggen gewandeten amerikanischen Fans traten den Rückweg an, wie auch die sportiven Norweger im Raddress der Landesfarben.Wie Johannes hinterher per SMS berichtete, hat er weder die in generalstabsmäßiger Planung platzierten Plakate gesehen, noch uns als Gruppe wahrgenommen, trotz des einen oder anderen gerissenen Stimmbands… Beim nächsten Mal?
Jetzt freue ich mich erstmal mit den Spaniern, die soeben erfolgreich waren.
Barbara