Eine Eifler Weihnacht


aus: Boston Globe, 26.12.2007

„DER Baum soll in euer Wohnzimmer?“ entfuhr es mit ungläubig, als ich in der Garage einen ersten Blick darauf warf. Die Garage, die eigentlich mehr die Werkstatt meines Vaters ist, ist keine gewöhnliche Garage: sie ist etwa 3,50m hoch – und der Baum kam gefährlich nah an die Decke.
„Dein Vater meint, wenn er von der Spitze 10cm abschneidet, sei das kein Problem,“ entgegnete meine Mutter mit einem wissenden Zwinkern. „Das Wohnzimmer ist wohl angeblich 2,40m hoch, aber ob da die Holzvertäfelung schon eingerechnet ist, konnte ich nicht klären.“
„Also, wenn ihr mich fragt – aber mich fragt ja keiner,“ warf meine Schwester, die zwischen zwei Zügen an ihrer Zigarette vor sich hin „simmeliert“ hatte, ein, „also, wenn ihr mich fragt: da muss mindestens der untere Kranz an Zweigen noch ab.“
Wir waren uns also einig. Es war der 22.12. und beim Abendessen brachte ich das Thema zu den Gürkchen und dem Aufschnitt auf den Tisch. Mein Vater aber blieb dabei und war sich seiner Sache so sicher, dass er eine Wette einging:
„Ich habe doch gemessen: da müssen weniger als 20cm von der Spitze weg, dann passt das, ihr werdet schon sehen!“
„Okay,“ entgegnete ich, „da halte ich dagegen: ich sage, es müssen mehr als 30cm gekürzt werden – und das geht nur unten. Ich wette um eine Tafel Schokolade.“
„Ja gut. Lass uns doch gleich 10 Euro sagen!“
Da mischte sich meine Mutter ein: „Hier wird nicht um Geld gewettet!“ Und so blieb es bei der Tafel Schokolade.

Am folgenden Morgen kam ich schlaftrunken in die Küche, wo meine Eltern schon seit längerem ihr Frühstück beendet hatten. Mein Vater sah nachdenklich den Meisen bei der Schlacht um die gleichnamigen Knödel zu und sagte, ohne den Kopf zu wenden, „Ich habe verloren. Wir müssen gleich mal gucken, was wir jetzt machen.“ Ich durfte mir noch kurz eine Jacke über den Schlafanzug ziehen und wir rückten der Fichte auf den Pelz. Es ist erstaunlich, was man alles braucht, um im Hause meiner Eltern einen Weihnachtsbaum aufzustellen. Ich kam mir vor wie in einer Folge von „Hör mal wer da hämmert“ – so am ehesten in der, in der Tim Jill erklärt, was ein Flansch ist. Wie auch immer, zuerst musste es eine Astschere sein, um den untersten Kranz an Zweigen zu entfernen. Es folgte eine kleine Heckenschere für kosmetische Arbeiten ähnlicher Art. Danach bedurfte es eines riesigen Hammers mit Dämpfer, um die Schrauben am selbst entworfenen Christbaumständer zu lösen. Pi mal Daumen die richtige Amputationsstelle errechnet, kam die Stichsäge zum Einsatz, um dann noch von einem Bohrer beträchtlichen Ausmaßes abgelöst zu werden… das ist für die Stabilität, der Baum sitzt im Ständer auf so einem Pin. Ich ärgerte mich im Stillen, dass ich den Wetteinsatz nicht doch noch höher getrieben hatte. Die Kürzung betrug satte 36 cm. Plus etwa 10 cm von der Spitze. Die Tafel Schokolade werde ich im neuen Jahr einfordern.

Am Morgen des Heiligen Abend gibt es immer noch ein paar Besorgungen in letzter Minute zu machen – und wenn es sich nur um Puderzucker handelt, weil man feststellt, dass man den vergessen hat und für den geplanten Nachtisch DRINGEND braucht. Das ist leider nicht so praktisch wie zuhause, wo ich in nur um die Ecke in den Supermarkt muss. Hier muss man das Auto enteisen und eine Viertelstunde durch die Wälder gurken. Gerade denke ich noch, dass der Mensch im Auto vor mir wahrscheinlich ein Ehemann im temporären Exil ist, damit er daheim nicht dumm rum steht und womöglich noch gute Ratschläge abgibt – der hat Zeit. Da brechen sie aus den Schlehenhecken zur Linken, setzen über den Graben und dann über die Straße, den Hang hinunter und über die gefrorene Ebene hin zum Wirftbach! Die wilden Kerle haben sich uns als Opfer ausgesucht! Erst waren es zwei Wildschweine, von denen eines nicht ohne Kontakt mit dem Wolfsburger Wagen vor mir davon kam, dann ein drittes, das vor mir die waghalsige Mutprobe anging und unbeschadet überstand. Aber da fragt man sich: denken die eigentlich gar nicht nach? Die müssten sich nur in aller Seelenruhe an den Straßenrand stellen und jeder Autofahrer würde sofort in die Eisen gehen und sie kreuzen lassen. Ganz abgesehen davon, dass es in dieser Gegend durchaus Momente gibt, in denen weit und breit kein Fahrzeug eine Gefahr darstellen würde. Aber nein, wir müssen daraus einen Riesenakt machen. Die Vermutung liegt nahe, dass die drei sich ein Späßchen gemacht haben. Stehen da hinter den Schlehenhecken und warten auf die hektischen Weihnachtseinkäufer, um sich dann gegenseitig den Startschuss zu geben, „Los jetzt, ATTACKE! Dem zeigen wir’s!“ Davon stieben sie, wie die Büffel in der Savanne. Als ich etwa 40 Minuten später auf dem Rückweg wieder vorbei kam, stand der arme Exil-Ehemann immer noch da und wartete auf die Polizei – auch das kann in dieser Gegend dauern. Aber er war in der Zwischenzeit von Kindern aus dem Dorf mit Kaffee und Plätzchen versorgt worden – das wiederum war in dieser Gegend auch nicht anders zu erwarten.

Und Weihnachten war dann, wie es immer war – als einmal der Baum stand. Natürlich hatten wir eine Lichterkette zu wenig und dann ein Problem im Stromkreislauf, das aber mittels Kabelschere und Lüsterklemme geregelt werden konnte. An die komischen Vögel im Baum kann ich mich auch nach Jahren nicht gewöhnen, aber die sind wohl Klassiker aus den Jugendjahren meiner Mutter. In einigen Jahrzehnten werden sich andere Menschen wunderliche Gedanken zu meinem Elch-Christbaumschmuck machen. Bei mir gehört seit nun mehr als 10 Jahren selbst hergestellter egg nog zum Fest, Eierpunsch. Jetzt bloß keine immer zu kurz greifenden Vergleiche mit Eierlikör! Der Kartoffelsalat war gut, den Spießbraten kann ich nicht beurteilen und meinen für den ersten Feiertag vorbereiteten Lebkuchen-Flan kann man durchaus wieder machen. Nun bin ich u.a. für meine Kaffeeklatsch-Runden und andere Anlässe mit einer Kaffeemaschine ausgestattet und für anspruchsvolle Exkursionen in Gebiete, die nie zuvor ein Mensche gesehen hat, mit einem eidgenössischen Taschenmesser. Die Handhabung erwies sich als schwierig; bereits beim Ausklappen der zweiten Funktion floss Blut und die Arbeitsfähigkeit meines rechten Daumens ist weiter stark eingeschränkt.

Nun sitze ich hier, habe den ersten Arbeitstag hinter mir, zappe durch die Programme und wundere mich, wie sich Harry Potter doch verändert hat (bevor ich dann feststelle, dass es wohl der „Herr der Ringe“ sein muss, bzw. der Hauptdarsteller dieses Streifens). Wie man unschwer merkt, habe ich es nicht mit Fantasy…

Ich wünsche euch allen einen guten Rutsch ins neue Jahr – see you in 2008!
Barbara

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