Warum ich so gerne Bahn fahre!

Zum x-ten Mal versuchte die junge Frau in Ferrari-Fan-Hemd und Jeans, mittlerweile leicht entnervt, den Fahrkartenautomaten in Ahrbrück dazu zu überreden, einen 20-Euro-Schein zu akzeptieren. Leise vor sich hinfluchend gab sie auf und kam in den Zug. Mein Blick fiel auf die draußen noch die letzten Neuigkeiten austauschenden Schaffner, die mir trotz Auftreten in Zivil auf dieser Strecke alle quasi persönlich bekannt sind.

„Da draußen sind schon die Schaffner – Sie haben keine Chance!“ sagte ich daraufhin zu ihr, was sie mit einem heftigen „Inglisi – no!!“ beantwortete. Hm. Die Schaffner, die sich in ihrer Unterhaltung schwer gestört fühlten und am Beitrag zu einer Lösung des Problems kein Interesse zu haben schienen, reagierten auf meine Frage, ob es eine andere Möglichkeit gäbe, ein Ticket zu bekommen, nur mit Kopfschütteln. Super. Daraufhin setzte sich die junge Frau, liebevoll geschminkt und mit zum Ferrari-Fan-Hemd passenden Rucksack und Sneakers zu mir und leerte ihre Geldbörse aus. Nach so einem Erlebnis mit dem Fahrkartenautomat erwartet man als durchschnittliche Reaktion des mehr oder weniger gewieften (deutschen) Bahnfahrers die Hasskappe, verbale Entgleisungen über die Automaten, die DB im allgemeinen, den insgesamt immer schlechter werdenden Service und im besonderen dann die Chuzpe, in dieser Lage auch noch zu streiken. Die erfahrene Moskauerin, Lena, wie sich herausstellte, zieht als erste Erklärung in Betracht, dass man ihr Blüten angedreht hat und unterzieht ihr gesamtes Barvermögen einer Wasserzeichen- und sonstigen Prüfung, um mir dann den Stapel in die Finger zu drücken und zu fragen: „Okay?“ Mein geübtes Auge stellte natürlich sofort fest, dass die Scheine alle einwandfrei waren und so konnte ich bestätigen: „Okay!“

Die weitere Unterhaltung gestaltete sich aufgrund der sprachlichen Barrieren als schwierig, wobei sie noch ungefähr doppelt soviel Deutsch wie ich Russisch konnte. Eine Bankangestellte aus Moskau, die zur Formel 1 in die Eifel gereist war und den Freund am heimischen Fernseher gelassen hatte.

„Schumacher!“ sagte sie, lächelte triumphierend und streckte mir den Daumen entgegen.
„Aber Schumacher,“ sagte ich mit ungläubigem Augenausdruck und Kopfschütteln… und gestikulierte „Ende!“
Da,“ stimmte sie mir zu, „Massa, Räikkönen!“
„Ja genau,“ sagte ich und kramte den schon erfolgreich an afghanischen Männern mittleren Alters und mit gewissem Erfahrungshintergrund ausgestatteten (inkl. Vorliebe für das Kartoffelwässerchen der Besatzer) getesteten Eisbrecher heraus… und alle tatsächlich Russisch sprechenden Menschen mögen mir die Lautschrift-Verhackstückung verzeihen: „Räikkönen – Otschn chadascho! [Sehr gut!]“ Woraufhin sie sich fast wegschmiss. Es war am Samstagnachmittag, nach dem Qualifying für den Grand Prix am darauffolgenden Sonntag. Der Tag, an dem Lewis Hamilton, der einen dann doch auf seine alten Tage noch zum Formel 1-Fan werden lassen könnte, den Frontalcrash mit dem Reifenstapel hatte. „Chämilltonn…,“ sagte sie und schüttelte bedauernd den Kopf. „Ja, Hamilton,“ antwortete ich, zeigte auf meinen Knöchel und machte abwägende Handbewegungen. „Krank?“ fragte sie. „Vielleicht,“ gestikulierte ich. Ein weiteres Thema waren die landschaftlichen Reize Deutschlands. Der Rhein bei Koblenz hatte sie fasziniert, ebenso wie das wunderschöne Ahrtal, das wir gerade durchquerten – wohingegen das Gebiet um den Nürburgring nur ein Kopfschütteln hervorrief. Die Gesprächsstoffe waren damit ausgereizt, auch wenn ich mir noch ein paar Minuten den Kopf zerbrach, wie ich „Nastarowje“ noch unterbringen könnte oder was „Auf Wiedersehen“ heißt – dabei weiß ich genau, ich weiß es, aber es ist einfach weg. So sagte sie „Danke!“ als sie in Remagen den Zug verließ und ich antwortete mit „spaciwa„.

Das so ein „großes Wochenende“ am Nürburgring auch in der Bahn interessant werden könnte, hatte sich schon bei der Hinfahrt abgezeichnet, als ein Mann, Typ: nepalesischer Sherpa, in Ahrbrück aus dem Zug stieg und auch noch den Bus bis Adenau nahm – vergiss den Everest, es gilt die Eifel zu erobern.

Schon ein paar Halte zuvor hatte das Vierergrüppchen direkt neben meiner russischen Bekanntschaft und mir meine Aufmerksamkeit erregt und gefangen – was habe ich mich in der Folge aufgeregt, dass ich meine Digi-Cam nicht zwecks einer Tonaufnahme zur Hand hatte. Es handelte sich um ein Pärchen Chinareisende (CR) und ein Pärchen Daheimgebliebene (DG). Dat waren echte Eifler und ich werde nun nicht umhin kommen, die Unterhaltung in all ihren im Gedächtnis gebliebenen Details „up Platt“ wiederzugeben. Die wahre Komik wird sich also nur Muttersprachlern erschließen…

CR 1 (er): „Jelöwste dat, kom der Zuch pünklich! Sus hätte mer et su jemach wie in PEE-King – da konntste für 3 Euro Taxi fahre – dä janze Daach, kreuz un quer!“
DG 1 (er): „Näää, ächt? Wann word ihr da ejentlich do?“
CR 1: „Em Fröhjohr, un der Pitter wor och dabei. Ewwer der wor fruh, als er wie’er deheem wor.“
DG 2 (sie): „Ja warför dat dann?“
CR 2: „Der hätt do jo nur jehoost. Die Luft wor esu schlääch, de janze Smog un esu, weeste.“
DG 2: „Ah su.“
DG 1: „Wat mächt mer denn su in PEE-King?“
CR 1: „Ene Tempel am annere kicke, mit denne Buddhas un dem janze Jedier.“
DG 2: „Hat ihr da uch Hund probiert?“
CR 1: „Ja, häst dau se noch all? Obwohl… Net dat ich wüsst.“
CR 2 (sie): „Kannste ewwer em Supermarkt kofe, vakumierte Hundeköpp ham’mer jesinn.“
DG 2: „Bah, dat es jo widderlich.“
CR 1: „Mir sin dann jo uch noch im Land jereest, no SCHI-ANNN. Dat es 2 Fluchstunne von PEEE-King.“
DG 1: „Wat os da do, dat mer dohin flücht?“
CR 1: „Dat is de Terrakottaarmee.“
DG 2: „TERRAKOTTAARMEE? Wat os dat dann?“
CR 2: „Ja, kennst dau dann die Terrakottaarmee net? Wat sed ihr da für Banause?“
DG 2: „Isch han ke Ahnung, wat os dat da?“
CR 1: „Dat sin massig Tonfijuren, ünner de‘ Ääd.“
DG 2: „TONFIJUREN? Verzillst du mir dat ihr stunnelang fliecht für e paar Tonpüppche?“
CR 1: „Wat heesch hei TONPÜPPCHE? Dat sin 8000 Stück, ÜNNER DE‘ ÄÄD!!!“
DG 2: „Ünner de‘ Äad oder owwe drupp – dat es doch WAHNSINN, 2 Stunne Fluch für e paar Püppche!“
CR 2: „Da häst dau wirklich nix von jehürt? Dat os beröhmt!“
DG 2: „Nä, ewwer su Tonpüppche interessiere mich och net esu besonnersch…“

Für den an Tonpüppchen interessierten Leser: http://de.wikipedia.org/wiki/Xi’an 😉
Viele Grüße
Barbara

Deutsche Sprache – schwere Sprache?

Wer Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache hat oder gerne mehr darüber erfahren würde, sollte meinen Weg gehen: eine Chinesin als Mitbewohnerin nach Poppelsdorf holen. Weil es mir langsam das Hirn zermürbt, muss ich das mal wieder schriftlich festhalten und wenn ich daran denke, dass mir ein zweiwöchiger Französisch-Intensivkurs ins Haus steht, fängt das Kleinhirn schon an zu qualmen…

Vor einigen Wochen schon wurde ich gefragt, wo denn eigentlich der Unterschied sei zwischen „selbst“ und „selber“. Nach einer ersten Abwehrreaktion à la „da habe ich noch nie drüber nachgedacht“ (diese Reaktion erlebe ich nunmehr fast täglich), habe ich Abhilfe geschaffen und das Nachdenken begonnen. Meine Vermutung, dass es sich bei „selbst“ um die hochsprachliche Variante und bei „selber“ um die umgangssprachliche handelt, erwies sich nach Rücksprache mit einem der Grammatik und anderen Aspekten der deutschen Sprache fitteren Menschen als richtig. Eine weitere daraus folgende Erkenntnis: in einem Fall kann „selbst“ nicht durch „selber“ ersetzt werden und zwar, wenn „selbst“ in der Bedeutung von „sogar“ benutzt wird, wie in „Selbst der Zabel hat gedopt.“

Aber diese Frage erweist sich als von der einfacheren Art. Gerade eben kam wieder eine SMS: „Wenn man mir sagt: „machs gut!“. Soll ich „dir auch“ sagen oder „du auch“? Hab immer „dir auch“ gehört!“ Ich texte zurück: „“Du auch.“ „Dir auch“ antwortest du z.B. auf „Viel Spaß!“ Es dauerte nur wenige Minuten, bis das Telefon klingelte. Oh je, seit Jahren falsch geantwortet und wie man das denn wissen kann… Und das mit „Viel Spaß“ sei ja nur ein Beispiel, wo man denn sonst was sagt?? „Du lieber Gott, soviel Gehirnakrobatik noch nach Feierabend!“ war meine Reaktion… und dann sage ich: „Du musst ganze Sätze machen, dann ist es klar „Ich wünsche dir viel Spaß – Ich dir auch!“ oder, etwas holprig, „Hab (du) eine gute Nacht – Du auch!“ Wie aus der Pistole geschossen kommt dann „Ach so!! Dir ist dann bei Verben mit Dativ und du, wenn es ein normales Substantiv ist – und dich ist ja bei Akkusativ!“ – „Tja, wenn du das sagst, wird das schon stimmen,“ sage ich verwirrt. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen – und noch ist mir keine Ausnahme von der Regel eingefallen: wenn man mit einem Verb im Imperativ (ha!) angesprochen wird, antwortet man mit „Du auch!“. Schlaf gut, träum schön, lauf schnell, iss lecker…

Und: sagt man im Deutschen eigentlich „träum süß“ oder ist das mal wieder so ein zugewanderter Anglizismus… das eingedeutschte „sweet dreams“?? Ich würde nie „träum süß“ sagen – immer nur „träum schön“ – aber das kann ja auch frühkindliche Prägung sein?? Ja, ja, eine hochanspruchsvolle Mail heute!

Eine Frage, die in ihrer Zweideutigkeit oder was immer es ist besser war, als sie selbst glaubt, stellte meine Mitbewohnerin per SMS vor einigen Tagen: „Hab eine frage! Der X hat mir geschrieben, ihm gehts nicht gut, hat aber mit deutscher Bürokratie zu tun! Ist das eine Krankheit?“ Als Erklärung hörte ich später, dass die Aussage „Mir gehts nicht gut“ nur in Bezug auf (nicht psychische) Krankheiten gelernt wurde. Anderweitig hervorgerufenes Unwohlsein wurde unbewusst ausgeklammert. Ich hätte eigentlich mal fragen sollen, wie sie es denn in einem solchen Fall anders ausgedrückt hätte.

Ein andermal steht man leise in sich hineinfluchend in der Küchenschürze und mit Schweiß auf der Stirn an der Anrichte und versucht verzweifelt, einen Blaubeer-Pfirsich-Kuchen am Stück vom Boden der Form rutschen zu lassen. Der den Backkünsten allgemein eher abgeneigte Chinese als solcher (da hat kaum ein Privatmann einen Backofen, gibt’s nicht – daher extrem faszinierend, was da alles rauskommen kann) erkennt den Ernst der Lage nicht und fragt mit einem Blick auf meinen rechten Ellenbogen und die Folgen eines Aufeinandertreffens von Fahrrad und Straßenbahnschiene „Oh, was ist das??“ – „Fahrradunfall…hmpf.“ – „Das ist diiiiiik. Wie heißt das?“ – „Mmmmhhh… angeschwollen.“ – „Aber das ist Partizip! Wie ist der Infinitiv?“ – „*stöhn* Können wir das SPÄTER ausdiskutieren??? Der Kuchen geht kaputt!“ – „Oh. Entschuldigung. Ist doch egal. Schmeckt auch kaputt.“ Und die Aussage ist so auch nicht falsch…

Deutsche Sprache – schwere Sprache!
So, jetzt kann ich entlastet ins Bett gehen. Gute Nacht!
Barbara